Bundestag will Schub für Digitalisierung im Gesundheitswesen

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will dem deutschen Gesundheitswesen und der Pflege einen kräftigen Digitalisierungsschub verpassen. Zentraler Bestandteil der Digitalisierungsstrategie sind die Einrichtung der elektronischen Patientenakte für alle und die Durchsetzung des E-Rezepts als verbindlicher Standard. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt zentrale Fakten der Entwürfe eines „Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG) sowie eines „Gesetzes zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten, die der Bundestag am Donnerstag in Erster Lesung debattieren will.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens verläuft bislang ziemlich schleppend. Aus Sicht von Lauterbach ist Deutschland auf diesem Gebiet Entwicklungsland und benötigt eine Aufholjagd. Ziel sei es, den Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland an die Weltspitze heranzuführen. Spürbare Fortschritte wird es nach Überzeugung des Ministers aber nur geben, wenn die Maßnahmen bei den Patientinnen und Patienten, pflegebedürftigen Menschen sowie Ärztinnen und Ärzten und anderen Gesundheitsfachkräften einen wahrnehmbaren Nutzen davon haben. Auch müsse die Technik sicher und nutzerfreundlich sein.

Lauterbach hat eine Digitalstrategie ausgerufen: Das „Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ soll der medizinischen Forschung in Deutschland einen Schub bringen – durch eine vereinfachte Nutzung von Gesundheitsdaten in Forschung und Pharmaindustrie. Das „Digital-Gesetz“ soll insbesondere den Durchbruch für die elektronische Patientenakte und das E-Rezept bringen. Voraussetzung ist allerdings, dass die digitale Infrastruktur funktioniert – also elektronische Daten zwischen Krankenhäusern, Arztpraxen, Apotheken, Kassen und Patienten schnell und sicher ausgetauscht werden können. Dazu soll zu einem späteren Zeitpunkt die zentrale Digitalisierungsplattform Gematik zu einer nationalen Digitalisierungsagentur umgebaut werden.

Das E-Rezept soll zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung werden. Dabei bekommen Patienten statt des gewohnten rosa Zettels einen Code aufs Handy oder auf die elektronische Gesundheitskarte, mit dem sich in Apotheken Medikamente abholen lassen.

Gesetzlich Krankenversicherte sollen ab 2025 automatisch eine elektronische Patientenakte (ePA) erhalten. Damit sollen Millionen gesetzlich Versicherte ihre Röntgenbilder, Labordaten und andere Behandlungsdaten digital speichern können. Um ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln künftig besser zu vermeiden, soll die ePA als erstes mit einer vollständigen, weitestgehend automatisiert erstellten digitalen Medikationsübersicht befüllt werden. Auch die elektronischen Notfalldaten sollen auf der ePA gespeichert sein. Als nächste Anwendungen werden die Elektronische Patientenkurzakte (ePKA) und die Labordaten-Befunde folgen.

Die Kassen müssen die elektronische Patientenakte schon seit 2021 anbieten. Bisher mussten Patienten ausdrücklich zustimmen (Opt-in-Verfahren), wenn sie eine ePa haben wollten. Das und die komplizierte Handhabung haben allerdings dazu geführt, dass sich bislang erst rund ein Prozent der Versicherten für eine Nutzung entschieden haben. Lauterbach will das ändern und eine sogenannte Widerspruchslösung (Opt-out) durchsetzen. Jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, soll automatisch eine elektronische Patientenakte bekommen. Praxen und Krankenhäuser können die gespeicherten Informationen dann einsehen und austauschen. Ob die Patienten selber diese Informationen nutzen, entscheiden sie selbst. Lauterbach verfolgt damit das Ziel, dass im übernächsten Jahr 80 Prozent der gesetzlich Versicherten eine ePA nutzen.

Der Bundesgesundheitsminister betont, dass die Daten den Patienten gehören. Der Arzt könne nicht sagen: Meine Befunde stelle ich da nicht rein. Patienten können deshalb auch bestimmen, ob und welche Daten in der ePA gespeichert werden und auch, welche wieder gelöscht werden sollen. Patienten können auch entscheiden, dass der Arzt in die Patientenakte nur hineinschreibt, aber nicht sieht, was dort schon enthalten ist. Sie sollen auch die Möglichkeit erhalten, für jedes in der ePA gespeicherte Dokument einzeln zu bestimmen, wer darauf zugreifen kann, zum Beispiel für eine Untersuchung bei einem Facharzt. Der Gesetzentwurf erwähnt explizit, dass Ärztinnen und Ärzte beim Eintragen von HIV-Infektion, Schwangerschaftsabbrüchen oder einer psychische Erkrankung ihre Patienten auf die Widerspruchsmöglichkeiten der Dokumentation dieser Daten hinweisen müssen.

Telemedizin soll ein fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden. Insbesondere Videosprechstunden sollen noch umfassender eingesetzt und leichter genutzt werden können. Dazu wird die bisher geltende Begrenzung der Videosprechstunden in einem ersten Schritt aufgehoben. Zugleich wird die ärztliche Vergütung künftig stärker an Qualitätsmerkmalen orientiert. Es werden darüber hinaus Maßnahmen der „assistierten Telemedizin in Apotheken“ eingeführt.

Der Minister ist der Meinung, dass Deutschland aus Datenschutzgründen etwa in der Krebsforschung dramatisch zurückgefallen sei. Gesundheitsdaten seien derzeit die wichtigste Quelle für neue Forschung. Lauterbach betont, es gebe schon jetzt eine riesige Menge Daten, die aber in getrennten Silos lägen und nicht miteinander verknüpft werden könnten.

Das Sammeln und Auswerten von Daten soll leichter werden. Um die Datennutzung zu erleichtern, soll unter anderem eine zentrale Stelle eingerichtet werden, die einen Zugang zu pseudonymisierten Daten aus verschiedenen Quellen wie Krebsregistern, Krankenkassendaten und Daten aus der elektronischen Patientenakte ermöglichen soll. Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) wird dazu weiterentwickelt – als Mittler und Koordinator zwischen den datenhaltenden Stellen und den Datennutzenden. Für die Antragsberechtigung ist nicht mehr ausschlaggebend, wer beantragt, sondern wofür – auch die Pharmaindustrie kann also Daten auswerten. Entscheidend soll sein, dass die Nutzungszwecke dem Gemeinwohl dienen. Patienten sollen der Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken aus der elektronischen Patientenakte aber ausdrücklich widersprechen können.

Krankenkassen sollen die personenbezogenen Daten ihrer Versicherten ebenfalls detailliert auswerten dürfen. Sie sollen ihre Versicherten auf bestimmte Gesundheitsgefährdungen und Krankheitsrisiken scannen dürfen. Kommt eine Krankenkasse dann etwa zu dem Ergebnis, dass bei einer Versicherten mutmaßlich ein hohes Diabetesrisiko besteht, muss sie die Betroffene darüber informieren.

Datenschützer verlangen, dass die Versicherten jederzeit der Verwendung ihrer Daten widersprechen können. Aus Sicht des Bundesdatenschutzbeauftragten bleiben etwa bei der elektronischen Patientenakte zu viele Fragen unklar. Etwa, wie Patientinnen und Patienten ihre Daten sperren können und ob auch psychotherapeutische Behandlungen in die digitale Akte einfließen sollen. Bei der Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung geht es etwa darum, wie weit pseudonymisierte Daten wieder bestimmten Patienten zugeordnet werden können. Auch ist umstritten, ob die Zustimmung der Versicherten zur Datennutzung nur für bestimmte Forschungsvorhaben oder für alle Forschungsprojekte gilt.