Seit sechs Monaten ist Friedrich Merz der zehnte Bundeskanzler Deutschlands. Es waren intensive, terminreiche Monate mit zahlreichen Hochs und Tiefs. In seinem 71. Lebensjahr dürfte es turbulent bleiben.
“Haben Sie Kinder?”, “Fragen Sie mal Ihre Töchter”. Anregungen dieser Art gibt Friedrich Merz gelegentlich Journalisten. Zuletzt nach seiner Stadtbild-Äußerung, die ihm viel Kritik eingebracht hat. Merz selbst hat zwei Töchter, einen Sohn und sieben Enkel, er sei ein Familienmensch, betont der CDU-Politiker immer wieder. Und geht dabei soweit, dass er sich als der erste Kanzler mit Kindern seit 1998 betitelt, was hinterfragt werden darf. Angela Merkel hat Stiefsöhne, Gerhard Schröder Adoptivkinder. Fest steht jedoch, Merz’ Familie dürfte ihr Oberhaupt am 11. November zu seinem 70. Geburtstag gebührend feiern.
Zurückblicken kann Vater und Großvater Merz auf ein wahrhaft turbulentes Lebensjahr. Nach einem harten Wahlkampf wurde er Anfang Mai zum zehnten Bundeskanzler Deutschlands gewählt – die Erfüllung eines langjährigen Traums. Dabei war der Start alles andere als einfach. Als erster Kanzlerkandidat fiel er im ersten Wahlgang im Bundestag durch. Es fehlten sechs Stimmen zur Kanzlermehrheit. Im zweiten Wahlgang klappte es dann aber.
Merz, der selbstbewusste, konservative und ehrgeizige Sauerländer, weiß, dass die Erwartungen an ihn und seine Regierung enorm sind. Die ersten sechs Monate hatten es in sich – auch innerhalb der Koalition. Genannt sei etwa das kolossale Debakel um die gescheiterte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin. Oder aber das zähe Ringen um den Bundeshaushalt oder die Wehrpflicht. Kritik hagelt es von vielen Seiten. In Anbetracht der bevorstehenden Landtagswahlen in fünf Bundesländern sind vor allem die in Teilen rechtsextreme AfD und der Umgang mit ihr eine enorme Herausforderung.
Merz ist aber nicht nur Familienmensch, er bringt auch andere Erfahrungen als seine Amtsvorgänger mit. So hat er eine erfolgreiche Anwaltskarriere hingelegt und nach eigenen Angaben Millionen beim Finanzriesen Blackrock und in anderen Aufsichtsräten verdient. Sichtlich wohl fühlt er sich auf dem internationalen Parkett – womöglich wohler als in seiner Heimat.
Geboren wurde Merz am 11. November 1955 in Brilon im Sauerland, wo er aufwuchs und zur Schule ging. Bereits als Gymnasiast trat er in die CDU ein. 1975 machte er Abitur. Es folgten der Wehrdienst und ein Jura-Studium in Bonn und Marburg, inklusive Mitgliedschaft bei der Bavaria, Deutschlands ältester katholischer Studentenverbindung. Nach seinem Rechtsreferendariat arbeitete Merz als Anwalt. Derzeit ruhen seine Tätigkeit und Anwaltszulassung. Seinen Vorsitz im deutschen Blackrock-Aufsichtsrat gab er für die Politik 2020 auf.
Die ersten sichtbaren politischen Duftmarken hinterließ Merz im EU-Parlament. 1994 zog er in den Bundestag ein und blieb dort zunächst bis 2009. Insbesondere in der CDU-Krisenzeit rund um die Aufarbeitung der Spendenaffäre von Ex-Kanzler Helmut Kohl war es Merz, der mit seiner größten Konkurrentin Merkel eine Art Reform-Duo bildete – für wenige Jahre.
Als ihn Merkel jedoch auf den zweiten Platz verwies und den Fraktionsvorsitz für sich beanspruchte, zog Merz sich aus der Fraktions- und Parteiführung zurück. 2008 kündigte er sein Ausscheiden aus der Politik an. Wirklich weg war er nicht. Als Redner, Autor und in Talkshows blieb er politisch präsent – und wartete auf den richtigen Moment zur Rückkehr.
Während Merz 2018 und Anfang 2021 ohne Erfolg nach dem Parteivorsitz griff, klappte es beim CDU-Mitgliederentscheid Ende 2021. Seit Anfang 2022 steht der Jurist an der Spitze der Partei. “Man muss nur lang genug kandidieren”, neckte CSU-Chef Markus Söder seinen “partner in crime”. Während dieses Duo anscheinend funktioniert, wohl besser als Söder und Merkel, bleibt die Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner SPD herausfordernd.
Auch zu den Kirchen ist das Verhältnis der Christdemokraten unter Merz eher distanziert. In der Migrationsfrage sind die Positionen weit voneinander entfernt. Ja so weit, dass bei einer historischen Antragsabstimmung vor der Bundestagswahl die Kirchen sich deutlich gegen CDU/CSU positionierten. Auch, da die Union eine Zustimmung der AfD in Kauf nahm. Zugleich kann Merz jedoch im konservativen Lager punkten und dürfte dort auch viele christlich verwurzelte CDUler erreichen. Auf diese setzen auch die Kirchen weiterhin.