Nach der gescheiterten Verfassungsrichterwahl bezeichnet die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf die Vorwürfe gegen sich als unsachlich. Auch ihre viel kritisierte Position zum Lebensschutz versucht sie zu differenzieren.
Nach den Vorwürfen gegen die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf erhält sie Unterstützung von hunderten Wissenschaftlern – und nimmt selbst Stellung zu den Medienberichten. Die Berichterstattung sei “in Teilen der Medien unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent” gewesen, schrieb Brosius-Gersdorf am Dienstag in einer Stellungnahme. Sie als “ultralinks” oder “linksradikal” zu bezeichnen sei diffamierend und realitätsfern.
Was öffentlich über ihre Position zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs geäußert wurde, sei falsch, so Brosius-Gersdorf. Der Vorwurf, sie spräche ungeborenem Leben die Menschenwürdegarantie ab und sei für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt, stimme ebenfalls nicht. Unter anderem im verfassungsrechtlichen Teil aus einem Kommissionsbericht aus dem vergangenen Jahr, für den Brosius-Gersdorf verantwortlich war, hieß es, es gebe gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gelte. An dieser Äußerung hatten sich unter anderen viele Abgeordnete von CDU und CSU gestört.
Die Juristin wies in der Stellungnahme dabei auf ein verfassungsrechtliches Dilemma hin. Wenn dem menschlichen Leben ab der Befruchtung der Eizelle die volle Menschenwürde zugesprochen würde, wären Schwangerschaftsabbrüche in jedem Fall rechtswidrig, auch wegen medizinischer Indikation bei Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Frau. Denn eine Abwägung von Menschenwürde mit Grundrechten anderer sei nicht möglich. Daraus resultiere jedoch nicht, dass sie selbst die Position vertreten habe, das ungeborene Leben sei schutzlos.
Am Freitag war die Wahl dreier neuer Verfassungsrichter für Karlsruhe, darunter Brosius-Gersdorf, im Bundestag gescheitert. Sie soll nun vermutlich nach der Sommerpause nachgeholt werden. Aus der Union gibt es Forderungen an ihren Koalitionspartner, eine andere Person ins Rennen zu schicken. Doch die SPD will offenbar an Brosius-Gersdorf festhalten.
Mehr als 300 Wissenschaftler kritisierten in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung den Umgang mit Brosius-Gersdorf. Das Verhalten in Politik und Öffentlichkeit schade den beteiligten Institutionen und der demokratischen Ordnung. Kritik an einzelnen Positionen der Juristin seien legitim. Äußerungen, diese Positionen wären abseitig oder radikal, seien allerdings von Unkenntnis der rechtswissenschaftlichen Debatte geprägt. Forderungen von Bundestagsabgeordneten, Brosius-Gersdorfs Universität möge Maßnahmen gegen sie ergreifen, seien ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit.
Die Wissenschaftler kritisierten auch das Vorgehen der Unionsfraktion im Bundestag: “Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeugt zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung.”
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) verteidigte indes die öffentlichen Äußerungen kirchlicher Vertreter. “Wenn man Stellungnahmen der Kirchen zu bestimmten Themen ausdrücklich wünscht, dann sollte man sie nicht beschimpfen, wenn einem Stellungnahmen zu anderen Themen nicht gefallen”, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag). Dass Vertreter der katholischen Kirche ihre grundsätzlichen Überzeugungen zum Thema Menschenwürde des ungeborenen Lebens zum Ausdruck brächten, sollte man ihnen nicht übelnehmen.