Brasiliens Opposition will schärferes Abtreibungsgesetz

Abtreibungen nach der 22. Woche sollen einer Tötungsstraftat gleichgesetzt werden, selbst in den gesetzlich erlaubten Ausnahmefällen. Aus evangelikalen und katholischen Kreisen kommt Zustimmung.

In Brasilien gibt es Unmut wegen des Abtreibungsgesetzes. Hier ein Protest in Sao Paulo
In Brasilien gibt es Unmut wegen des Abtreibungsgesetzes. Hier ein Protest in Sao PauloImago / ZUMA Press Wire

Gesetzentwurf 1904/24 lässt die Gemüter in Brasilien hochkochen. Konservative Abgeordnete drängen den Kongress per Dringlichkeitsbeschluss, Abtreibungen ab der 22. Woche härter zu bestrafen. Bislang gibt es dieses Zeitfenster nicht. Dass die geplante Neuerung auch in den Ausnahmefällen gelten soll, in denen Abtreibungen erlaubt sind, hat zu landesweiten Protesten geführt. Der Unmut trifft auch die Regierung, die von der Initiative überrascht wurde und planlos wirkt.

Derzeit sind in Brasilien Schwangerschaftsabbrüche auch nach der 22. Woche nach einer Vergewaltigung, bei gesundheitlicher Gefährdung der Mutter und in Fällen von Anenzephalie erlaubt, bei der dem Fötus Teile des Gehirns fehlen. In diesen Fällen legt die Rechtsprechung keine Frist für die Abtreibung fest. In allen anderen wird sie als Straftat mit bis zu vier Jahren Gefängnis geahndet.

“Das Mädchen, das nach einer Vergewaltigung abtreibt, wird schärfer bestraft als der Vergewaltiger”

Die von evangelikalen Abgeordneten vorgebrachte Gesetzesinitiative soll künftig die Rechtsprechung ergänzen: “Bei Vorliegen der Lebensfähigkeit des Fötus, die bei Schwangerschaften über 22 Wochen vermutet wird, werden die Strafen entsprechend dem Straftatbestand des Homicio simples [entspricht Tötung im deutschen Strafrecht] verhängt”, so der Text. Die Strafen liegen bei 6 bis 20 Jahren.

Dass die Höchststrafe damit über der für Vergewaltigung – maximal zwölf Jahre – liegen würde, hat für viele Brasilianer einen besonders bitteren Beigeschmack. “Das Mädchen, das nach einer Vergewaltigung abtreibt, wird schärfer bestraft als der Vergewaltiger”, so das Motto der Proteste in Sozialen Medien. In Großstädten wie Rio de Janeiro, Sao Paulo, Recife und Brasilia gingen Tausende auf die Straße.

2023 offiziell nur rund 2.700 legale Abtreibungen in Brasilien durchgeführt

Mädchen sind die Hauptopfer von Vergewaltigungen; 2023 waren 62 Prozent der rund 75.000 registrierten Opfer unter 14 Jahre alt. Bei ihnen wird eine Schwangerschaft oft erst spät festgestellt. Zudem verweisen Experten darauf, dass Schwangere oft Wochen oder Monate auf eine Genehmigung der Abtreibung durch die Justiz warten müssen. Und selbst wenn sie diese erhalten, weigern sich oft Ärzte und Krankenhäuser aus ethischen oder religiösen Gründen, sie durchzuführen.

So erklärt sich, dass in Brasilien 2023 offiziell nur rund 2.700 legale Abtreibungen durchgeführt wurden. Die Zahl der illegalen ist umstritten. Schätzungen gehen von 80.000 bis 100.000 jährlich aus; andere vermuten bis zu eine Million. Dabei scheinen freilich Abtreibungsgegner die Zahlen bewusst hoch anzusetzen.

Katholische Kirche unterstützt die Gesetzesinitiative

Neben dem evangelikalen Lager unterstützt auch die katholische Kirche die Gesetzesinitiative. Man wolle sich zwar nicht an einer “Politisierung und Ideologisierung” der Debatte beteiligen, heißt es in einer Mitteilung der Bischofskonferenz. Allerdings sei man gegen die Tötung von Föten, etwa durch Injektion eines herzlähmenden Mittels bei einer Spätabtreibung.

Der Meilenstein 22. Woche sei bedeutend, da ab diesem Alter viele Babys nach der Geburt überlebten, so die Bischofskonferenz; und weiter: “Warum also töten? Warum nicht das Trauma einer Abtreibung und der Zeit nach der Geburt vermeiden? Wenn die Mutter es wünscht, kann Sie das Kind rechtmäßig der Liebe und Fürsorge einer Adoptivfamilie übergeben.”

Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hatte über Tage geschwiegen

Der linke Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hatte über Tage geschwiegen, ebenso sein Umfeld. Dass auch seine Ehefrau Rosangela “Janja” Lula da Silva stumm blieb, die sich bislang als feministische Aktivistin gezeigt hatte, wurde von Regierungsanhängern in Sozialen Netzwerken besonders kritisiert. Lula wie “Janja” reagierten schließlich doch noch. Während die First Lady die Gesetzesinitiative “absurd” nannte, erklärte Lula, persönlich gegen Abtreibung zu sein; die aktuellen Gesetze seien aber ausreichend.

 Brasiliens Präsident Lula
Brasiliens Präsident LulaImago / TheNews2

Das Thema ist für ihn heikel, da er evangelikale Wähler nicht verschrecken will. Jeder dritte Brasilianer ist evangelikal, Tendenz steigend. Und bei den vergangenen Wahlen hatten rund zwei Drittel der Evangelikalen für das konservative Lager der Lula-Gegner gestimmt.

Die aktuelle Polemik fällt zusammen mit Äußerungen Lulas, er könnte Ende 2026 entgegen früheren Versprechen noch einmal für eine vierte Amtszeit antreten. Er wolle dies tun, um zu verhindern, dass Brasilien wieder von “Faschisten” regiert werde. In diesem Fall bräuchte er Stimmen sowohl des evangelikalen wie des katholischen Lagers.