Böse Falle

Führt Gott in Versuchung? Seit der Kritik von Papst Franziskus an der deutschen Vaterunser-Übersetzung wird darüber diskutiert. Theologen aber sagen klar: Die Übersetzung stimmt

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Das Vaterunser ist falsch übersetzt, sagt der Papst. Es kann nicht heißen „Führe uns nicht in Versuchung“, denn Gott versucht nicht. Versuchen – also vor eine Entscheidung stellen, in der das Falsche lockt –, das tut nur der Satan.
Diese Äußerung des Papstes sorgte vor einigen Wochen für Erstaunen und führte zu einer angeregten Diskussion, auch im evangelischen Bereich (siehe Seite 14).
„Das haben wir uns schon immer gedacht“, sagten die einen. Es könne doch nicht sein, dass Gott selbst uns aktiv in eine Falle lockt, um zu schauen, ob wir uns für die gute Seite der Macht entscheiden.

Versuchung – eine Falle oder eine Prüfung

Andere hielten dagegen: „Die Übersetzung entspricht genau dem Sinn des griechischen Urtextes.“ Und die Bibel erzähle durchaus von Menschen, die sich von Gott versucht fühlten.

In der theologischen Wissenschaft sind zwei Bereiche mit der Frage nach der Vaterunser-Übersetzung beschäftigt: die Bibelwissenschaften, die sich mit den Texten des Alten und Neuen Testaments befassen, und die Dogmatik, die Aussagen über das Wesen Gottes und des Glaubens trifft.

Zunächst also Anfrage bei einem Neutestamentler. Seine Antwort kommt prompt: „Das Griechische ist eindeutig", sagt Martin Karrer, Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel/Wuppertal. „Und die Übersetzung im Deutschen ist völlig korrekt.“

In Frankreich lag der Schwerpunkt anders

Strittig seien zwei Worte, so Karrer: das Verb eisphero, das mit „hineinführen“ richtig übersetzt ist, und das Wort peirasmos, das Prüfung, Versuchung heißen kann. Karrer vermutet, dass der Papst eine Diskussion aus Frankreich auf andere Übersetzungen übertragen hat. Denn die französische Version des Vaterunsers setzte einen anderen Schwerpunkt als die deutsche. Sie lautet „Unterwirf uns nicht der Versuchung“ – eine Bedeutungsvariante, die das Ausgeliefertsein des Menschen stärker betont und den Anschein erwecken kann, dass Gott dem Menschen moralische Fallen stellt, um seine Glaubensstärke zu prüfen. Seit dem 1. Advent 2017 gilt – nach langer Diskussion – in der katholischen Kirche Frankreichs eine andere Lesart: „Lass uns nicht in Versuchung eintreten/geraten“. Eine Version, die der Meinung des Papstes sehr viel näher kommt.

Die Zuspitzung der alten französischen Übersetzung findet sich in der deutschen Formulierung nicht. Der Neutestamentler Karrer sieht daher im Deutschen keinen Änderungsbedarf. „Aber fragen Sie doch noch einen Aramäisch-Spezialisten“, empfiehlt er.

Also Anruf bei seinem Kollegen Alexander Ernst, Dozent für biblisches Hebräisch, ebenfalls Kiho Wuppertal/Bethel. Der hat genauer nachgeforscht und festgestellt: Schon seit Generationen ist umstritten, wie der biblische Urtext verstanden werden kann und ob Gott selbst in Versuchung führt oder nicht.

Nur: „Die Behauptung ,Jesus kann das nicht gesagt haben, weil Gott so nicht ist‘, die sieht ein Exeget kritisch“, sagt Ernst. „Das bedeutet ja: Da kann nicht stehen, was nicht sein darf.“ Für einen Wissenschaftler, der sich mit Texten beschäftigt, ist das keine akzeptable Herangehensweise.

Ernst geht als Hebraist und Aramäist noch einen Schritt hinter den griechischen Text des Neuen Testaments zurück. „Wir können annehmen, dass Jesus Aramäisch gesprochen hat, die Sprache der einfachen Leute zu seiner Zeit“, erklärt er. Die griechische Version, die uns vorliegt, wäre also auch schon eine Übersetzung.

Rückübersetzung ins Aramäische ist Spekulation

Während nun Griechisch, Deutsch und Französisch zu einer gemeinsamen Sprachfamilie gehören, die Übersetzungen relativ einfach macht, ist das Aramäische Teil einer anderen Sprachfamilie: der semitischen Sprachen. „In der gibt es eine Verbform, die eine Veranlassung ausdrückt, den sogenannten Kausativ“, erklärt Ernst. Es wäre also theoretisch möglich, dass das, was im Griechischen „hineinführen“ heißt, im Aramäischen auch „hineingehen lassen, veranlassen, dass jemand hineingeht“ bedeuten kann. Dann hieße die Bitte: „Veranlasse nicht, dass wir in Versuchung geführt werden“ – so, wie es die französische katholische Kirche jetzt betet.

Alexander Ernst hat jedoch große Vorbehalte gegenüber dieser Argumentation. Denn die Rückübersetzung eines Textes in eine andere Sprache, um eine vermeintliche Original-Version zu erhalten, kann nur Spekulation sein. „Dahinter steht ein riesiges Fragezeichen, das dann auch ganz viele andere Formulierungen beträfe“, erklärt der Wissenschaftler. „Dann heißt es vielleicht auch nicht ,Gott hat Israel aus Ägypten geführt‘, sondern ,Gott hat zugelassen, dass Israel aus Ägypten herausgeht‘. Das wird dann irgendwann absurd.“ Darum findet auch Ernst die traditionelle Vaterunser-Übersetzung richtig.

Die Auseinandersetzung an sich findet der Theologe dagegen nicht absurd. „Dahinter steckt ja die Frage, wie wir Gott sehen“, sagt er, und leitet damit zur dogmatischen Diskussion über. In der Bibel findet man verschiedene Aussagen zum Thema Versuchung: Eindeutig wird erzählt, wie Gott Abraham und Hiob versucht. Im Neuen Testament ist es der Geist Gottes, der Jesus in die Wüste führt – den Ort der Versuchung durch den Teufel. Und im Jakobusbrief heißt es: „Gott versucht nicht.“
Es gibt also die dunkle, bedrohliche Seite Gottes. „Die Bitte des Vaterunsers ist darum krass“, findet Ernst: „Wir bitten Gott, zu sein, wie er eigentlich nicht sein kann. Wir bitten ihn, für uns der Heilsame zu sein, nicht der Bedrohliche. Obwohl es zu seiner Göttlichkeit gehört, dass er auch das sein könnte.“