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Berliner Fußballverein entdeckt seine jüdischen Wurzeln neu

In Berlin spielt ein Amateurverein, dessen Entwicklung mit einigen der bedeutendsten jüdischen Vereine der Stadt verbunden ist. Der junge Vorstand will die eigene Geschichte jetzt aufarbeiten.

Der Weddinger Kultverein WFC Corso 99 / Vineta e.V. will mehr sein als Kreisliga B.
Der Weddinger Kultverein WFC Corso 99 / Vineta e.V. will mehr sein als Kreisliga B.epd-bild/Matthias Kindler

„Wir sind ein Weddinger Kultverein“, sagt Johannes Refle, während er über die Kunstrasenplätze an der Ofener Straße blickt – Heimspielstätte des WFC Corso 99/Vineta e.V. Die erste Herrenmannschaft spielt in der Berliner Kreisliga B. Es könnte ein ganz gewöhnlicher Verein sein, wie mehr als 400 andere unter dem Dach des Berliner Fußball-Verbands. Aber Refle, 22 Jahre alt und seit April im Vorstand, weiß, wovon er spricht.

Der Student der Politikwissenschaft und Medieninformatik, seit zwei Jahren im Verein engagiert, Trainer der D-Jugend, will die 125 Jahre alte Historie des Vereins entstauben. Gemeinsam mit seinen Kommilitonen Ferdinand Houben und Gergö Hornburg bildet er eine junge Gruppe in der Vereinsführung, die nicht nur kicken will: Die drei wollen die Wurzeln des Clubs sichtbar machen, der einem der bedeutendsten jüdischen Berliner Vereine vor der NS-Zeit entspringt.

NS-Zeit beendete jüdisches Vereinsleben

Wer sich der Geschichte des WFC Corso 99/Vineta nähern will, muss den Namen aufdröseln. Das „WFC“, der neueste Teil des Namens, stammt aus einer Fusion aus dem Jahr 1996 mit dem Weddinger FC 08. Dieser stieg in den 1980er Jahren immerhin in die damals viertklassige Landesliga Berlin auf. Der BSC Corso als „Mutterverein“ gründete sich 1899. Im beginnenden 20. Jahrhundert entstand, ebenfalls in Berlin, der SC Hakoah. Schnell etablierte sich der jüdische Club im Berliner Fußball und fusionierte mit dem ersten jüdischen Sportverein Deutschlands, Bar Kochba. Die NS-Zeit setzte dem sportlichen Treiben jedoch ein jähes Ende.

Die Männermannschaft des WFC Corso 99/Vineta e.V. an der Ofener Straße in Berlin
Die Männermannschaft des WFC Corso 99/Vineta e.V. an der Ofener Straße in Berlinepd-bild/Matthias Kindler

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der SC Hakoah neu gegründet – unter anderem durch den späteren Entertainer und Moderator Hans Rosenthal (1925-1987). Man benannte sich 1953 in Vineta 05 um, 1972 folgte die Fusion mit Corso 99. Die jüdische Identität des Vereins geriet in Vergessenheit. Das wollen Refle und seine Mitstreiter ändern. Den Anstoß dazu gab der Berliner Fußball-Verband (BFV) im Jahr 2022: Der beauftragte als erster Landesverband in Deutschland eine wissenschaftliche Studie zur „Geschichte des Berliner Fußballs in der NS-Zeit“.

Jüdische Wurzeln und Antisemitismus: Lernen für junge Generationen

Bis die eigenen Ergebnisse der Recherche aufgearbeitet sind, wird es laut Refle noch mindestens ein Jahr dauern. Man befinde sich erst am Anfang des Prozesses. Dann wolle sich der Vorstand anschauen, was für Rückschlüsse man für heute aus der Geschichte des Vereins ziehen kann und wie man die Historie für die aktuellen Mitglieder des Vereins aufbereitet.

Denn im Herzen des Wedding gelegen, ist der Verein ein Schmelztiegel wie der Stadtteil selbst. Im Planungsraum Glasgower Straße, wie das Bezirksamt Mitte das Gebiet rund um den Sportplatz bezeichnet, besitzen 58,1 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner einen Migrationshintergrund. „Wir wollen Akzeptanz und Verständnis schaffen“, sagt Refle. Über das Thema Antisemitismus könne man für Jugendliche mit migrantischem Hintergrund eine Verbindung zu Diskriminierungserfahrungen schaffen, die auch sie erleben.

Der Weddinger Amateurverein stehe bereits mit TuS Makkabi im Kontakt, erklärt Refle. Als erster jüdischer Verein – und dazu noch aus der fünftklassigen Oberliga Nord – schaffte Makkabi es, sich in der Saison 2023/24 für den DFB-Pokal zu qualifizieren. Vorgängerverein des TuS Makkabi, in dessen direkter Tradition man sich dort sieht: Bar Kochba.

Jüdische Wurzeln und Vereinsgeschichte bleiben im Blick

Neben Refle laufen langsam sowohl Männer als auch Frauen in ihren Zwanzigern auf den Platz, eine der drei Freizeitmannschaften, die der Verein unterhält. Die Jugendarbeit ist ihnen hier wichtig, man unterhalte alle Jugendklassen mit mindestens einer Mannschaft. Und, was Refle wichtig ist: „Wir sind der Verein mit den niedrigsten Jugendbeiträgen in Berlin“. Neben der Aufarbeitung der Vereinsgeschichte hat Refle auch sportliche Ziele im Blick: “Wenn alles gut läuft, sehe ich uns in fünf Jahren in der Bezirksliga”, sagt Refle und grinst.