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Berlin erinnert an Novemberpogrome

Zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht ist in Berlin mit vielen Veranstaltungen an die gewaltsame Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus erinnert worden. An einem unter anderem von den Kirchen organisierten Schweigemarsch vom Winterfeldtplatz zum Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter rund 1.000 Menschen. Dort wurden den ganzen Tag über die Namen der im Holocaust ermordeten 55.696 Berliner Juden gelesen. Zudem wurde die Fassade des Gemeindehauses mit einem Bild der ehemaligen Synagoge bestrahlt.

Die zentrale Gedenkveranstaltung zu den November-Pogromen fand in der kurz nach Wiederaufflammen des Nahost-Konflikts attackierten Synagoge in der Brunnenstraße statt. Neben Zentralratspräsident Josef Schuster nahmen daran unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teil. Zudem gab es etliche Gedenkveranstaltungen in den Stadtteilen, etwa in Lichtenberg am Gedenkstein für die ehemalige Synagoge in der Konrad-Wolf-Straße, in Moabit am Gedenkort Güterbahnhof und in Friedenau am Breslauer Platz.

Bundeskanzler Scholz und Zentralratspräsident Schuster verurteilten aktuelle antisemitische Anfeindungen. Jede Form von Antisemitismus vergifte die Gesellschaft, sagte Scholz. Schuster warnte vor neuer Angst und Verunsicherung bei Jüdinnen und Juden in Deutschland. Er erkenne zuweilen dieses Land nicht wieder, sagte er.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), der am Abend auch vor dem Jüdischen Gemeindehaus erwartet wurde, versicherte zum Jahrestag der Pogrome den Jüdinnen und Juden in der Stadt: „Wir werden alles dafür tun, damit Antisemitismus und Judenhass hier keinen Platz hat.“ Der 85. Jahrestag mahne an die Verantwortung eines jeden Einzelnen, sich im Alltag gegen Judenfeindlichkeit zur Wehr zu setzen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bezeichnete an einer Station des Gedenkweges der Kirchen die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 als „eine Eskalation roher und offener Gewalt gegen Unschuldige“. Diese sei schließlich „in die beispiellose systematische Vernichtung von Millionen Menschen“ gemündet. „An diesem Tag zeigte sich, wie dünn der bürgerliche Firnis der Aufklärung war“, sagte Klein. Dabei hätten viele Deutsche mitgemacht oder zugesehen, wie ihre Nachbarn angegriffen, verhaftet oder ermordet wurden.

Die Route des von Kirchen und Handelsverband organisierten Gedenkweges führte über Nollendorf- und Wittenbergplatz, Tauentzien und Kurfürstendamm zum Jüdischen Gemeindehaus. An mehreren Stationen gab es kurze Ansprachen und Gebete. In den angrenzenden Straßen befanden sich früher mehr als hundert jüdische Geschäfte.

Der Berliner Erzbischof Heiner Koch nannte den Gedenkweg zum Auftakt eine „Mahnung an unsere Verantwortung vor der Geschichte“. Zugleich sei es ein Zeichen der Solidarität mit den jüdischen Nachbarn heute. Der evangelische Bischof Christian Stäblein betonte mit Blick auf aktuellen Judenhass: „Werden wir nicht blind für das, was geschieht.“ „Wer Jüdinnen und Juden angreift, greift uns alle an“, sagte Stäblein.