Bereit, wieder mitzumischen

Lange Zeit war es ruhig geworden um Marius Müller-Westernhagen. In der Corona-Krise meldete er sich aber wieder zurück: Gereift, aber nicht weniger angriffslustig. Und rockig wie in seinen besten Zeiten. Sein Album „Das eine Leben“ (2022), das erste seit acht Jahren mit neuen Texten, hielt sich 35 Wochen lang in den Top-100. Jetzt, am 6. Dezember, wird er 75 Jahre alt und will es nochmal krachen lassen: Am 1. Dezember erscheint die Box „Westernhagen 75 (75 Songs: 1974 – 2023)“. Und am 10. Mai 2024 startet Westernhagen in Dortmund seine Tournee: „75-Live“.

„Wenn man Corona irgendetwas abgewinnen kann, dann, dass ich Zeit hatte, mal wieder nach innen zu gehen“, erzählte er dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Er habe gemerkt, dass er wieder bereit sei, mitzumischen und auch was zu sagen habe. Er habe angefangen, wieder Texte zu schreiben.

In „Das eine Leben“ geht es neben der Isolation in der Pandemie („Ich will raus hier“) und dem „Zeitgeist“ auch um die Endlichkeit: „Ja, das Leben ist das Leben, und eh‘ du dich versiehst, ist es das auch schon gewesen“, singt er in „Achterbahngedanken“.

Marius Müller-Westernhagen und Udo Lindenberg seien die ersten gewesen, die hiesige Geschichten erzählt und zu Pop-Musik verarbeitet hätten, sagt der Journalist und Autor Manfred Bissinger in der Westernhagen-Dokumentation „Zwischen den Zeilen“. Für sein gesellschaftspolitisches Engagement erhielt der Musiker im Jahr 2001 das Bundesverdienstkreuz vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), mit dem er befreundet war.

Als sein großer Hit „Freiheit“ aus den 1980ern von „Querdenkern“ und Impfgegnern benutzt wurde, um gegen Coronapolitik Stimmung zu machen, holte sich Westernhagen seinen Song zurück: Auf Instagram verbreitete er ein Foto, auf dem er sich gegen Corona impfen ließ: Darunter schrieb er „Freiheit“.

Immer wieder hat er gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus Stellung bezogen. Seine „Echo“-Preise gab er aus Protest zurück, als 2018 die Rapper Kollegah und Farid Bang für ein Album ausgezeichnet wurden, das antisemitische Songzeilen enthält. Künstler hätten eine besondere gesellschaftliche Verantwortung, schrieb er damals auf seiner Homepage.

Den Durchbruch brachte für ihn „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ aus dem Jahr 1978. In den 70er Jahren präsentierte Westernhagen sich als Rocker in Jeans und Lederjacke, kritisierte Polizeiwillkür in Zeiten des RAF-Terrorismus („Grüß mir die Genossen“). Sein 1987 veröffentlichter Song „Freiheit“ wurde später zur Hymne der Wiedervereinigung. Westernhagen, der inzwischen Stadien füllte, wurde als „Armani-Rocker“ verspottet. Er trug teure Uhren und Designer-Anzüge. Zu dieser Zeit war er mit dem Fotomodell Romney Williams aus New York verheiratet.

Seine Fans hat er mit seinen Image-Wechseln immer wieder auch irritiert. Wenn Menschen nicht manchmal polarisierten, finde er das verdächtig, sagte Westernhagen: „Wenn dich alle toll und nett finden, bist du Helene Fischer.“

Auf der Höhe seines Erfolges verabschiedete er sich Ende der 1990er Jahre von den gigantischen Stadiontourneen. „Auf meinem damaligen Höhepunkt war ich am unglücklichsten“, bekannte Westernhagen im „Spiegel“-Interview. „Ich wurde depressiv und vollkommen paranoid. Ich war kurz davor, mich zu verlieren.“

Geboren wurde er am 6. Dezember 1948 in Düsseldorf. Sein Vater, der bereits im Alter von 44 Jahren starb, gehörte als Schauspieler im Düsseldorfer Schauspielhaus zum Ensemble von Gustaf Gründgens. Lange Zeit war Westernhagen zugleich Musiker und auch Schauspieler.

Anfang der 70er zog er nach Hamburg. Dort war er oft in der Künstlerwohngemeinschaft zu Gast, in der Udo Lindenberg und Otto Waalkes wohnten. Bis Ende der 80er war er in mehr als 30 Filmen zu sehen, unter anderem als Sprüche klopfender Ruhrpott-Loser Theo in dem Fernsehfilm „Aufforderung zum Tanz“ (1977) und in Fortsetzung im Kino „Theo gegen den Rest der Welt“ (1980). Der Film war mit mehr als drei Millionen Kinobesuchern der größte deutsche Filmerfolg dieser Zeit.

Westernhagen legt Wert auf öffentliche Distanz zu seinem Star-Dasein: „Superstar, Megastar, das sind alles Karnevalsorden, die morgen schon nichts mehr wert sind“, sagte er einmal. Er sei auch kein Kumpeltyp: „Ich bin mehr ein Einzelgänger, ein Grübler“, erklärte er 2008 in einem Interview. Von ewiger Jugend hält er ebenso wenig wie von Schönheitsoperationen: „Man sieht nachher nicht jünger aus, sondern einfach nur scheiße.“ Alles im Leben sollte mit einer gewissen Würde geschehen – „auch das Altern“.