Ein Nachbar stirbt – und fortan bemüht sich das Umfeld, dessen Namen nicht mehr zu erwähnen, um die Hinterbliebenen nicht immer wieder traurig zu machen. Dabei wäre meist genau das Gegenteil richtig, sagt eine Expertin.
Beim Thema Trauer halten sich nach Einschätzung einer Expertin viele Mythen. Ein solcher “Irrglaube” sei etwa, “dass man den Verstorbenen besser nicht mehr erwähnt, um die Trauernden zu schonen”, sagte Trauerbegleiterin Heidi Müller im Interview der “Zeit”-Beilage “Christ und Welt” (Donnerstag). Häufig sei es genau andersherum. “Trauernde wünschen sich den Austausch über die verstorbene Person. Sonst fühlt es sich an, als wären der Mensch und alle Erinnerungen an ihn einfach ausradiert.”
Falsch sei auch die Annahme, dass Trauer nur negative Gefühle beinhalte. “Trauer kann auch positive Emotionen mit sich bringen”, sagte die 54-Jährige. “Erleichterung oder gar Freude darüber, dass jemand nicht mehr leiden muss. Oder auch, dass eine schwierige Pflegesituation endet, die einen Angehörigen an die Grenzen gebracht hat.”
Auch dass die Verdrängung von Trauer nur schlecht sei, sei “eher ein Mythos”, so Müller. Wer bei der Bank sitze, um die gemeinsamen Konten umschreiben zu lassen, weil etwa die Ehefrau gestorben sei, tue gut daran, den Schmerz kurz zu verdrängen und sich auf die Bankangelegenheiten zu konzentrieren. “Verdrängung kann adaptiv sein und dabei helfen, sich an das neue Leben anzupassen”, so Müller, die das Thema auch wissenschaftlich erforscht.
Studien zeigten zudem, dass es Kulturen gebe, die sehr schnell mit Verlusten abschlössen. “Wer glaubt, jeder müsse Trauer viel Raum geben und sie brauche immer viel Zeit, der irrt. Das kann, muss aber nicht so sein.”
Das Verlustgefühl bleibe indes auch bei einer guten Verarbeitung. “Trauer verändert sich, sie ist nicht linear, aber sie wird irgendwann schwächer. Trauerprozesse können enden. Aber der Verlust bleibt immer”, so Müller. “Die Zeit kann also nicht heilen, sie kann aber dabei helfen, ohne den anderen weiterzumachen. Das ist etwas anderes.”