„Bei uns heißt sie Hanka“ – Dem Sorbischen auf der Spur

„Bei uns heißt sie Hanka“ ist ein sehr persönlicher Dokumentarfilm, mit dem Regisseurin Grit Lemke ihre sorbischen Wurzeln und das Wiederaufleben von sorbischer Kultur und Sprache in der Lausitz erforscht.

Wer heute in Cottbus, der größten Stadt der Niederlausitz, spazieren geht, wird womöglich erstaunt sein, dass alle Straßennamen oder auch das Rathaus dort zweisprachig beschildert sind. Denn die Lausitz ist die Heimat der Sorben, des mit etwa 60.000 Menschen heute kleinsten slawischen Volkes. Vor etwa 1.400 Jahren ließen sie sich in der Gegend zwischen Elbe und Oder nieder, bevor sie im 12. Jahrhundert von den Sachsen christianisiert wurden. In den folgenden Jahrhunderten wurden sie immer mehr gen Osten getrieben und in den vergangenen 150 Jahren – vor allem im Deutschen Kaiserreich und verstärkt während des Nationalsozialismus – gnadenlos germanisiert.

„Bei uns heißt sie Hanka“ ist der erste dokumentarische Kinofilm über und mit Sorben, in dem Regisseurin Grit Lemke auch ihre eigene sorbische Identität erkundet. Denn dass sie sorbische Wurzeln hat, wusste die in Spremberg in der Niederlausitz geborene Lemke lange nicht. Obwohl die Sorben in der DDR als ethnische Minderheit anerkannt waren, tat man auch dort nicht viel, um ihre eigenständige Kultur zu erhalten. Ihre Sprache war quasi ausgestorben. Lemke, die im Off als eine Art lyrisches Ich durch den Film führt, erinnert an ihre sorbische Großmutter, die ein eigenartiges Deutsch sprach. Umlaute kamen darin nicht vor, das „R“ wurde gerollt und alles doppelt negiert.

Doch weil alles, was sie über Sorben erfuhr, negativ konnotiert war, stellte Lemke als Kind keinen Zusammenhang zwischen Sorben und ihrer Familie her. Sorben nahm sie als in altmodischen Trachten tanzende Menschen wahr, die irgendwie irreal wirkten. Sprüche wie „Lauf nicht rum wie eine Wend’sche Hanka“ hörte sie in ihrer Jugend zuhauf. Sorben wurden mit Schmutz und Rückständigkeit assoziiert.

Ähnlich erging es auch vielen Protagonistinnen und Protagonisten des Films, die eher zufällig von ihren Wurzeln erfuhren. Martin etwa ist Fan des Fußballclubs Energie Cottbus und war früher deutschnational – bis er von der sorbischen Identität seines Großvaters erfuhr. Seither hat sich seine politische Gesinnung radikal gewandelt. Von seinem mittlerweile sehr betagten Opa lässt er sich sorbische Lieder vorsingen, Geschichten erzählen, lernt die Sprache und benutzt für seinen Vornamen mittlerweile die slawisch-sorbische Variante Meto. Seine Fanplakate, die er mit ins Stadion nimmt, sind zweisprachig.

Viel Zeit verbringt der Film auch mit Familie Wjesela auf dem Land. Vor allem der junge Bauer Ignac, dessen Hochzeitsfeier im Film gezeigt wird, lebt seine sorbische Identität bewusst, ja fast offensiv. Mit seiner Familie und seiner Frau Anna spricht er nur Sorbisch und besteht auf sorbische Kultur und Tradition. Bei ihm und seinem Vater führt die Identifikation mit ihrer Herkunft so weit, dass sie unsichtbare Mauern aufbauen.

Bei dem fordernden Auftreten von Ignac hat man den Eindruck, dass die Unterdrückung, die seinem Volk einst widerfuhr, bei ihm in einen sorbischen Nationalismus umschlägt, der genauso ratlos macht wie die frühere Scham vieler Sorbischstämmiger bezüglich ihrer Herkunft. Das wirkt ziemlich gewollt.

Dabei macht der Film doch auch klar, wie sehr Identitäten sich überlappen, dass nationales Empfinden vielschichtig sein kann und dass man in der Region ohne weiteres zwei Sprachen und Kulturen gleichzeitig oder nebeneinander pflegen kann. Bei ihren Ausführungen im Off blendet Lemke die vielfältigen Landschaften der Lausitz ein. Während im industrialisierten Norden die ehemaligen Braunkohlereviere und rauchende Fabrikschornsteine dominieren, erblickt man in südlicheren Regionen malerische Dörfer mit kleinen katholischen Kirchen.

Die junge sorbische Künstlerin Hella Stoleckojc/Hella Stoletzki bezieht auch soziale Themen und Diversität in ihre Kunst und ihre Interpretation von Sorbischsein ein, wehrt sich gegen Exotisierung und Klischees. Sie und ihre Freundinnen und Freunde rappen auf Sorbisch und feiern ihre Auftritte zweisprachig: Denn um zu überleben und nicht auf Folklore reduziert zu werden, müsse sich eine Kultur auch ihrer Zeit anpassen.

Die Regisseurin verzichtet auf übergreifende historische Exkurse, eine genaue topographische Einordnung und eine Erklärung, wie sich Ober- und Niedersorbisch unterscheiden. Sie lässt sich von ihren eigenen sowie den Emotionen ihrer Protagonistinnen und Protagonisten leiten, und das gibt ihrem Film eine anrührende persönliche Note.

In Videoaufnahmen aus den 1990er Jahren sieht man sorbische Dorfbewohnerinnen, die miteinander ihre Muttersprache sprechen und vor der Kamera auf Deutsch Auskunft darüber geben, wie viele im Dorf überhaupt noch Sorbisch sprechen. Auch Fotoalben erweisen sich als wertvolle Dokumente gelebter sorbischer Kultur. Dank ihnen ist es möglich, ganz spezifische Trachten wiederherzustellen.

Das Fazit des Films formuliert Grit Lemke/Grit Lemkowa schließlich selbst: Manche lernen eine Sprache, um das Fremde zu verstehen, manche, um sich selbst zu verstehen.