Bazon Brock: Russland hat Aufarbeitung noch vor sich

Er gilt seit Jahrzehnten als einer der provozierendsten Kunsttheoretiker der Bundesrepublik: Bazon Brock (87). Seine besondere Sorge gilt Erlösungsideen in der Politik.

Wie man einen ideologischen Irrweg aufarbeitet, haben Länder wie Russland oder die Türkei aus Sicht des Kunsttheoretikers Bazon Brock im Unterschied zu Deutschland noch vor sich. „Deutschland hat seine Lektion bereits gelernt“, sagte der frühere Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung am Montagabend bei der Veranstaltung „Cohen’s Club“ in Berlin. Es habe verstanden, dass Metaphysik lediglich heiße, „gedankenreich in der Welt zu wirken“. Jedoch nicht: an politische Erlösungsmodelle zu glauben.

Zu dieser Aufarbeitung gehöre allerdings immer der Wille, Enttäuschungen in Kauf zu nehmen. „Das ist überhaupt die Definition von Aufklärung: Man mutet sich Enttäuschungen zu, indem man sich von absoluten Ideen verabschiedet, die keinen Erkenntnisgewinn bringen und führt das Denken zurück in die Realität“, so Brock, der im Gespräch mit der Kulturjournalistin Ute Cohen sein neues Buch „Eine schwere Entdeutschung“ (Schwabe Verlag) vorstellte, in dem er die deutsche Mentalität und Philosophie verschiedener Jahrhunderte durchstreift.

„Eigentlich ist das eine ganz banale Einsicht: Die Ziele können nicht die Mittel heiligen. Doch die Gefahr besteht immerzu und führt zwangsläufig in die Katastrophe. Wir Deutschen neigen dazu, die Wirklichkeit durch Begriffe zu überdecken. Wir verabschieden zum Beispiel ein Gesetz gegen Kinderarmut und denken: Damit gibt es keine Kinderarmut mehr.“

Sich als Retter der Welt und Träger einer Erlösungsidee zu betrachten, das sei stets das deutsche Problem gewesen. Besonders gut zu erkennen am Beispiel der DDR: „Die DDR war die logische Schlussfolgerung der deutschen Geschichte. Preußentum plus Sozialismus. Logischer hätte es nicht sein können“, so der 87-Jährige, der als Vertreter der sogenannten „Fluxus“-Bewegung mit zahlreichen Happenings und Essays das kulturelle Leben der Bundesrepublik während der vergangenen Jahrzehnte geprägt hat.