Bahnstreik und Bauernblockaden: Protestieren, nicht spalten

Proteste und Streiks gehören zur Demokratie, betont unser Chefredakteur Gerd-Matthias Hoeffchen in seinem Kommentar. Aber: Es muss Grenzen geben. Proteste sollten nie wie Erpressungen aussehen.

Bundeweite Protestaktion der Bauern gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung (Archivbild)
Bundeweite Protestaktion der Bauern gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung (Archivbild)Imago / BildFunkMV

Bauern-Demo, Bahnstreik, Klimakleber – Proteste gehören zur Demokratie. Alle, die mit etwas nicht einverstanden sind, dürfen das sagen – auch laut, auch in der Öffentlichkeit. Aber in der letzten Zeit haben sich die Art und die Heftigkeit der Proteste hierzulande verändert. Sie sind ruppiger geworden. Der Ton wird aggressiver. Der Anspruch, „wenn ihr nicht wollt wie wir, dann legen wir Teile der Öffentlichkeit lahm“, droht zur Selbstverständlichkeit zu verrohen. Und das ist ein Problem. Denn wenn das so weiter geht, fliegt uns unsere – bei allen kritikwürdigen Zuständen – insgesamt immer noch halbwegs funktionierende Gesellschaft um die Ohren.

Das kann niemand wollen. Außer denen, die sowieso und immer schon den Umsturz wollen. Alle anderen, die bürgerliche Mitte; jene, die das Gute bewahren und das Schlechte, das sie bedrückt, einfach abstellen wollen, denen sei gesagt: Geht den Spaltern nicht auf den Leim! Denn sonst ist am Ende alles nur noch sehr viel schlimmer. Wir leben in Zeiten von Krisen. Aber gerade die bekommt man nicht in den Griff, wenn man sich anschreit, wenn jeder nur noch auf die eigenen Interessen achtet, so berechtigt die auch sein mögen. Gefragt ist ein neues Miteinander. Eine Verständigung in der gesellschaftlichen Mitte. Ein neues Vertrauen, dass Veränderungen und Einschnitte notwendig sind und gerecht und angemessen auf die Schultern aller verteilt werden.

Fast nie ist eine „einfache“ Lösung gut

Hier ist zum einen die Politik gefragt. Sie muss die Wahrheit sagen, schnörkellos. Die lautet: „Die goldenen Zeiten sind vorbei. Wir müssen raus aus der Komfortzone. Das ist bitter. Aber wir werden versuchen, das Beste herauszuholen, was angesichts der Umstände möglich ist.“

Stattdessen betreibt die Politik Kosmetik, eiert herum, versucht, die eigene Klientel zu besänftigen. Aber das funktioniert immer weniger. Nutznießer sind Populisten und Extremisten, die einfache Lösungen verkünden: Ausländer raus, weg mit Europa; Bauern, wir stehen auf eurer Seite. Schaut man genauer hin, ist von diesen „Lösungen“ nicht einmal die Hälfte wahr. Insofern geht der Aufruf nicht nur an die Politik, sondern auch an Wählerinnen und Wähler: Macht euch schlau! Glaubt nicht jeder Sau, die Populisten durchs Dorf treiben. Schaut auf Sachargumente, vertraut nicht den Hassrednern. Fast nie ist eine „einfache“ Lösung gut. Und hört auf, eure Proteste wie Erpressungen aussehen zu lassen.

Protestieren ist wichtig für die Demokratie. Aber Demokratie ist auch die Kunst, das Große und Ganze zu sehen, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Und ihn dann zu akzeptieren. Dazu gehört die Bereitschaft, Kröten zu schlucken und fünfe gerade sein zu lassen. Wer nur aufs Eigene schaut, droht am Ende alles zu verlieren.