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Axel Milberg über ein letztes Mal Borowski

Am Sonntag spielt Axel Milberg zum letzten Mal den “Tatort”-Kommissar Klaus Borowski. Ein Interview über die Krimi-Reihe, Spiritualität und seine süddeutsche Wahlheimat.

Seit 22 Jahren ist der Schauspieler Axel Milberg in seiner Rolle als “Tatort”-Kommissar Klaus Borowski unterwegs. Nun endet dessen Laufbahn als Polizist. Anders als seine Rolle denkt Milberg mit 68 Jahren aber noch lange nicht an Ruhestand. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) verrät er, was er dem “Tatort” zum Abschied wünscht.

Frage: Das Erste hat das Ende von Borowskis letztem Fall vorab nicht gezeigt. Spricht das für einen Abgang mit Knalleffekt?

Antwort: Kanonenschlag oder Tischfeuerwerk? Das ist hier die Frage. Ich darf natürlich nichts verraten, aber es ist sein letzter Arbeitstag vorm Renteneintritt – da stört ein größerer Fall, der sich so rasch nicht lösen lässt, die anstehende Feier gewaltig. Wobei Borowski überhaupt erst entdeckt, dass es einen gibt, als er seinen Reisepass verlängern will. Es soll für ihn ja irgendwie weitergehen. Aber noch ist die letzte Minute seines Lebens als Polizist nicht angebrochen…

Frage: Sind Sie vorab gefragt worden, was Ihnen vorschwebt?

Antwort: Sehr früh sogar. Und dann saß ich da, hatte alle Freiheiten, aber was willst du nach 20 Jahren wirklich? Wie gut kenne ich Klaus Borowski und wie geht die Geschichte aus: Tod oder Abschiedsfeier, Segelboot oder Innenministerium, taucht die ferne Tochter aus Kanada auf oder die Exfrau? Da gäbe es 1.000 Möglichkeiten.

Frage: Zu denen im “Tatort” längst Zeitreisen und Zombies zählen. Wünschen Sie dem Format künftig mehr oder weniger Mut?

Antwort: Es ist wunderbar und notwendig, neue Sachen auszuprobieren. Der Zuschauer wird auch hier entscheiden, was weitergeht. Aber nicht er allein. Denn ich denke, die Fälle müssen noch mutiger politische Gefährdungen aufgreifen und gegen die galoppierende Blödheit anerzählen.

Frage: Ihr Abschlussfall ist hingegen eher unpolitisch, dafür etwas für Gothic-Fans…

Antwort: Das hat der wunderbare Sascha Arango entwickelt, nachdem sein Exposé breite Zustimmung gefunden hatte. Und dann heißt es erst mal, ihn in Ruhe lassen. Arango ist Borowskis Head-Autor und kennt seinen Klaus am besten.

Frage: Kennt er denn auch seinen Axel oder mag der es eigentlich bodenständiger?

Antwort: Bodenständig ist auch mir zu wenig. Es gibt märchenhafte Elemente, wenn man darunter versteht, tiefe Wahrheit in tückischer Idylle zu verbergen. Borowskis Gegenspieler ist der gepeinigte Sohn einer aggressiven Mutter, und er wird mit der Zeit immer auffälliger. Das kann gefährlich werden.

Frage: Borowski folgt oft Gefühlen. Würden Sie ihn als Instinkt- oder Intellekt-Kommissar bezeichnen?

Antwort: Er ist instinktiv, aber mit Mila als Co-Ermittlerin kommt das rationale Gespräch hinzu, denn am besten geht beides Hand in Hand. Borowski ist ja nicht sehr bürokratisch, er erklärt sich ungern, hört aber gerne zu und sagt irgendwann, was ihm zuvor klar geworden sein muss, bis er absolute Sicherheit hatte.

Frage: Was kennzeichnet ihn noch?

Antwort: Cord und Volvo. Beides zeigt sein Bedürfnis nach etwas Häuslichem. Wer immer unterwegs ist, nimmt wie eine Weinbergschnecke sein Haus mit sich.

Frage: Teilt er das Verkapselte mit Ihnen?

Antwort: Was ein Mensch über sich selbst sagt, ist in der Regel unbrauchbar, entweder macht er sich zu groß, zu klein, zu niedlich, zu lässig. Deswegen befrage ich zwar nicht häufig, aber manchmal meine Frau zu diesem Thema. Erfreulicherweise hält sie mich meist für offen, unkompliziert und heiter. Während Borowski nur für seinen Beruf zu leben scheint, genieße ich das Leben in seiner Vielfalt. Ich mache und habe Fehler, weise sie anderen aber ungern nach. Alles Lehrerhafte ist mir fremd.

Frage: Und das Spirituelle, von dem Borowskis Fälle ja oft geprägt waren?

Antwort: Tatsächlich habe ich immer mehr Zugang dazu. Das Geheimnis liegt an der Oberfläche; man muss nur genau hinschauen. Und hinhören.

Frage: Sie haben trotz zwei bis drei Fällen pro Jahr sogar mehr anderes gedreht. Sind Sie Workaholic oder können Sie einfach schlecht nein sagen?

Antwort: Bei zwei Fällen pro Jahr ist das doch normal! An wie vielen der 365 Tage arbeitet denn ein Arzt oder Kfz-Mechaniker? Es ist sinnvoll, als Schauspieler wahrgenommen zu werden, der nicht nur Kommissar dieser starken Marke “Tatort” ist.

Frage: Haben Sie so etwas wie einen Lieblingsfall von den 44 in 22 Jahren?

Antwort: Ich mag bestimmt ein knappes Dutzend richtig gerne. Welcher ist denn Ihrer?

Antwort: Definitiv “Der Himmel über Kiel”.

Antwort: Den die Konsumenten von Liquid Ecstasy über sich erblicken, oh ja. Studio Hamburg und der NDR haben mich in der Absicht, mit Regisseurinnen und Regisseuren zusammen zu kommen, die eine neue Sicht aufs Erzählen, aber auch die Welt hatten, stets unterstützt. So konnten wir mit Schwochow, Wnendt, Alvart, Tabak, Catak unvergessliche Filme entwickeln. Aber auch Kraume, Rohde, Garde, Wagner und vor allem Andreas Kleinert waren Glücksfälle. Ich muss unbedingt zwischendurch mal kurz allen Produzentinnen, Producern und Redakteurinnen danken für ihren ungewöhnlich kämpferischen Einsatz! Danke.

Frage: Wurmt es Sie angesichts dieser Fülle großer Regisseure, dass keiner Ihrer Tatorte einen Grimme-Preis bekommen hat?

Antwort: Jetzt, wo Sie es abfragen, ja.

Frage: Borowskis Finale spielt im Viertel Ihrer eigenen Kindheit. War es so düster, wie der Name Düsternbrook andeutet?

Antwort: An manchen Stellen ja. Scheinbar unbewohnt, keine spielenden Kinder, viel Regen. Hinter den Fenstern angedeuteter Wohlstand, überaltert, die Paare verreist. Solche Viertel hat aber fast jede Stadt. Das Haus, in dem der letzte Fall spielt, steht allerdings gar nicht in Kiel, sondern im Osten Hamburgs, auf dem Weg zum Sachsenwald.

Frage: Bevor Borowski dort auftaucht, sitzt er im Reisebüro und sagt: Best-Ager klingt toll. Ist es toll, ein Best-Ager zu sein?

Antwort: Natürlich nicht. Ich liebe das Leben und finde, dieses beschönigende Wort macht sofort melancholisch. Wie “herbstblond” oder “80 ist das neue 60”. Ich will damit nichts zu tun haben. Meine Schwiegermutter sagt, sie ist jetzt 87, das Alter ist mir scheißegal, aber man kann natürlich was gegen zu schnelles Altern tun: nicht rauchen, Enkel, Quizsendungen, ohne dabei zu naschen, große Spaziergänge, weg mit dem Handy, Nachrichtendiät. Das hilft bestimmt im Moment. Humor soll übrigens auch nicht schädlich sein. Noch tut bei mir nix weh.

Frage: Wie wichtig ist Nähe zu den eigenen Wurzeln? Sie leben in München, also weit weg von der Heimat des Nordlichts…

Antwort: Als Schauspieler bin ich ja nun viel in Gedankenwelten unterwegs. Da braucht es drumherum – für mich zumindest – ein friedliches Leben, und das schenkt mir die Familie. Meine Frau Judith ist Münchnerin, die vier Söhne sind dort geboren, ich spüre viel Süden. An einem bayerischen See bei saurem Radler auf schneebedeckte Berge schauen: Da ist nix verkehrt.

Frage: Machen Sie trotzdem nach Borowskis Pensionierung eine Weltreise? Oder arbeiten Sie einfach weiter?

Antwort: Beides zugleich. Reisen, aber nicht als Tourist, sondern mit Menschen in der Arbeit zusammenkommen wie voriges Jahr, als ich in Neumünster und Wiesbaden mit Lang Lang und seiner Frau Alice “Karneval der Tiere” aufgeführt und davor vier Monate in Budapest und danach zwei Monate in Brasilien gedreht habe. Ich bin einfach sehr dankbar für alles.

Frage: Auch, dass dieser Aufwand mit Rundfunkbeiträgen finanziert wurde?

Antwort: Den zahle ich selbstverständlich gern. Unabhängige Nachrichten, Vermittlung von Meinungsvielfalt und Wissen sollten durch den Verbraucher finanziert werden. Dass davon allerdings auch überzogene Pensionszahlungen finanziert werden, sollte rasch überprüft werden und aufhören.