Avi Mischan stellt in fünfter Generation jüdische Blashörner her

Der Schofar gilt als eines der ältesten Musikinstrumente. Er ist zu einem Symbol des Judentums geworden. Die größten zahlenden Fans in der israelischen Schofar-Manufaktur “ProShofar” sind jedoch evangelikale Christen.

“Je schlechter die Zeiten, desto mehr begeben sich Menschen auf die spirituelle Suche”, sagt Avi Mischan. In den gegenwärtigen Zeiten, “in denen die Welt auf ein Tohuwabohu”, das biblische Urchaos, zusteuere, müsste es dem syrischstämmigen Juden wirtschaftlich eigentlich gut gehen. Avi Mischan lebt von Schofarot, so der hebräische Plural für das Horn-Blasinstrument, das ganze 72 Mal in der Bibel erwähnt wird. Im heutigen Judentum erklingt das Schofar am Neujahrsfest Rosch Haschana und zum Versöhnungstag Jom Kippur, die bald im Oktober gefeiert werden. Das größte Geschäft aber macht Mischan mit evangelikalen Pilgern aus aller Welt – und die bleiben kriegsbedingt seit dem 7. Oktober 2023 Israel fern.

Eine metallene Treppe mitten im Gewerbegebiet der zentralisraelischen Küstenstadt Rischon LeZion führt hinauf in die unscheinbaren Hallen von “ProShofar”. Leichter Hufschmiedgeruch begrüßt den Gast, der sich vorsichtig einen Weg zwischen Kisten voller Antilopenhörner bahnt. Auch wenn Avi Mischan in diesem Jahr noch nicht bestellt hat: “Vier bis fünf Container” Rohmaterial kommen hier in Nichtkriegsjahren an, um in Stückzahlen von bis zu 60 pro Tag zu kunstvollen Blashörnern verarbeitet zu werden.

Wenn die Hörner aus Afrika, Australien und Italien in Israel eintreffen, steckt noch das Knochenmark in der Hülle aus Keratin. Die Schicht aus Faserproteinen, die menschlichen Haaren oder Fingernägeln sehr ähnlich sind, machen den entscheidenden Unterschied zwischen Horn und Geweih. Letzteres besteht aus toten Knochen und ist für die Herstellung von jüdischen Blashörnern nicht zulässig.

Für die Schofar-Hersteller beginnt jetzt der langwierigste Teil der Arbeit, erklärt Avi Mischan. In einem komplizierten Prozess, über dessen Details der Experte Stillschweigen bewahrt, wird das Knochenmark aus dem Keratin gelöst, die Hornhülle gereinigt, sterilisiert und getrocknet. Dann legen die Handwerker Hand an. Im Fall von “ProShofar” sind das meistens Antar und sein Sohn. Die arabische Stammbelegschaft der Werkstatt “gehört zur Familie”, so Mischan.

Als erstes wird das obere, dünne Ende des Horns über Feuer erhitzt und im warmen Zustand in eine geradere Form gepresst. Das ist nötig, damit die Öffnung gemacht werden kann, durch das der Schofarbläser später die Luft in die Hornröhre presst. Die ersten Zentimeter der Hornspitze sind nicht hohl und müssen durchbohrt werden, ein heikler Moment, der leichter gelingt, je schwächer die Krümmung ausfällt.

Zwischen 20 Minuten und einer Stunde brauche er ab diesem Moment, bis der Schofar den gewünschten Endzustand erreiche, sagt Antar – je nach Typ und Alter des Horns, seiner Größe und der Art des gewünschten Finishs. Immer feiner wird das Sandpapier an den Schleifmaschinen, über die er das Horn mit festem Griff gleiten lässt. Die feinen Späne bedecken Boden, Haut und Kleidung.

Der Geruch von verkokeltem Horn wird stärker. Wenn Antars geübte Finger mit dem Ergebnis zufrieden sind, greift er zum Wachsblock. Zwei spezielle Mischungen werden an Polierstationen auf das Horn aufgetragen, bevor als letzter Akt am durchbohrten dünnen Ende das Mundstück perfektioniert wird.

Mal klein, mal lang, mal kunstvoll geschwungen und dann wieder gerade und mit der Rillenstruktur des Arabischen Oryx ist das Ergebnis. Manche Schofarot sind naturbelassen, andere anpoliert oder auf Hochglanz gebracht. Je stärker die Bearbeitung, desto intensiver die Farben, die sich auf einer Palette von Erdtönen bis fleischfarbig bewegen und “immer irgendwie eine Überraschung” sind. Eines aber haben die zahllosen Hörner in der Manufaktur “ProShofar” gemeinsam: Alle stammten von koscheren Tieren, sagt Avi Mischan.

Ob auch der Schofar am Ende für koscher, also nach jüdischem Religionsrecht für den liturgischen Gebrauch an Jom Kippur, erklärt wird, hängt hingegen von verschiedenen Faktoren ab. Das Horn darf nicht gebrochen oder zu stark beschädigt sein. Es sollte mindestens so groß sein, dass der Hörer es in der Hand des Bläsers erkennt, und natürlich soll es einen guten Klang erzielen. Tabu sind jedwede materialfremden Dekorationen: Weder Farbe noch Silber- oder Goldschmuck dürfe das Horn tragen, erklärt Mischan, aus Angst, dass sie den Klang des Instruments beeinflussen könnten.

Mit dem rabbinischen Gütesiegel versehene Blashörner machen den kleineren Teil in der Mischanschen Sammlung aus. Vor allem Widderhörner stehen hier hoch im Kurs. Ein Widder nämlich hatte sich laut biblischer Erzählung im Dickicht verfangen, als Abraham seinen Sohn auf Gottes Befehl hin opfern wollte – und wurde stattdessen zum Opfer. Ihre relativ kleine Größe macht sie zum perfekten Begleiter für den Synagogenbesuch. Entscheidend für den Kauf ist der Klang, den der jeweilige Bläser dem Tierhorninstrument entlocken kann. Denn “wie jedes Horn, ist auch jeder Mund anders”, meint Avi Mischan. Das perfekte Team will also wohl gewählt sein.

Anders die Auswahlkriterien seiner nichtjüdischen Kunden: Besonders die Hörner des großen Kudu, die, an der Windung gemessen, Längen von anderthalb Metern – und Verkaufspreise von mehreren tausend Euro – erreichen, seien bei evangelikalen Pastoren und Gemeinden beliebt. Und weil das jüdische Religionsrecht hier keine Rolle spielt, sind der Fantasie bei der künstlerischen Gestaltung der Hörner keine Grenzen gesetzt. Von alttestamentlichen Szenen wie der Arche Noah über den besonders beliebten Löwen bis zu Maria mit dem Jesuskind reicht das Repertoire.

Ob ihn die religionsverschiedene Mehrheitsklientel störe? “Im Gegenteil”, sagt Avi Mischan. “Ich freue mich sehr, auf diese Weise mein Judentum zu zeigen und es in die Welt zu bringen!” Der Glaube an Gott den Schöpfer sei “der Strom, der durch die Hände fließt”, das Metier des Schofarmachers ein höchst spirituelles. Selbstverständlich ist Mischan “Baal Tekiah”, wie der Schofarbläser in der Synagoge an den hohen jüdischen Feiertagen genannt wird. Als Instrument wählt er dafür ein mittelmäßiges. “Die besten Schofarot gebe ich lieber Freunden und Menschen, die mir nahestehen.”

Mindestens drei weitere Schofar-Hersteller gibt es im Heiligen Land. Die eigentliche Konkurrenz aber, schreibt Mitbewerber “Schofarot Jeruschalaim” auf seiner Webseite, liege in minderwertigen Fälschungen “aus China und dergleichen”, ein Angriff auf Tradition und geschultes Handwerk gleichermaßen. Avi Mischan blickt der fernöstlichen Konkurrenz eher gelassen ins Auge.

35 Jahre ist er im Geschäft, die fünfte Generation des Familienbetriebs, der einst im syrischen Aleppo seinen Anfang nahm. “Mit unseren Schofarot schaffen wir Werkzeuge, die für Generationen sind, für tausende Jahre.” Irgendwann wird sein Sohn das Geschäft übernehmen – das ist so sicher wie der Klang des Schofar an Jom Kippur.