Autorin mit Handicap: Ohne Akzeptanz fühle ich mich behindert

Menschen mit geistiger Behinderung kommen in der Öffentlichkeit selten zu Wort. Zwei gehandicapte Autorinnen einer Caritas-Schreibwerkstatt in Stuttgart gaben nun zur „Woche für das Leben“ Einblicke in eigene Texte.

Für Menschen mit geistiger Behinderung ist es normalerweise nicht einfach, Vorurteile anderer Menschen in Worte zu fassen. Nicht so für Anna Vogel, Autorin mit Handicap in der Schreibwerkstatt im „Treffpunkt“ – einer Bildungs- und Begegnungsstätte der Caritas in Stuttgart für Menschen mit Behinderung. Als sie jetzt wenige Tage vor Beginn der „Woche für das Leben“ bei einer Pressekonferenz aus einem selbst verfassten Text vorliest, zeigt sie sich selbstbewusst. Sie müsse sich „von niemandem sagen lassen, wer ich bin“, sagt Anna vor Journalisten, die die Kirchen in Baden-Württemberg in den „Treffpunkt“ eingeladen haben, um ihr Engagement angesichts der Aktionswoche vorzustellen.

Dabei macht die junge Frau zugleich deutlich, wie es sich anfühlt, wenn sie von anderen Menschen nicht so akzeptiert wird, wie sie ist: „Ich fühle mich behindert, wenn jeder mich ausnutzen tut. Sie kontrollieren mich. Das fühlt sich schrecklich an und macht mich traurig und wütend. Die sind nicht zufrieden mit mir wie ich bin mit meiner Art. Sie akzeptieren mich nicht. Dann fühle ich mich behindert.“

Der Stuttgarter Caritasdirektor Raphael Graf von Deym berichtet, er habe als Geschwisterkind einer schwer mehrfachbehinderten Schwester einen ganz persönlichen Bezug zur „Woche für das Leben“. Junge Menschen mit Behinderung unterschieden sich „mit ihren Wünschen und Sorgen nicht von jungen Menschen ohne Behinderung“, weiß von Deym. „Aber sie benötigen individuelle Assistenz und ein barrierefreies Umfeld, um ihre eigene Lebensperspektive zu finden.“

Ein Schlüssel zur Welt sei das Schreiben und Lesen, so die Initiatoren der Schreibwerkstatt. „In ihren Texten erzählen die Teilnehmerinnen, wie sie ihren Alltag erleben, aber auch über ihre Wünsche und Träume“, erläutert Birgit Körner vom „Treffpunkt“. So entstand das Buch „Liebe hat 5 Buchstaben“, das witzige und bewegende Geschichten, Gedichte und selbstgemalte Bilder von Menschen mit geistigen Behinderungen enthält. Sophia Bonow, ebenfalls Autorin der Schreibwerkstatt, liest aus einem ihrer Texte vor: „Wenn man geliebt wird, ist es das Schönste im Leben. Man fühlt sich schön. Man merkt es im Herzen.“

Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb von der Diözese Rottenburg-Stuttgart zeigt sich beeindruckt von den beiden Autorinnen, die „eine große Bereicherung“ seien. In Baden-Württemberg wird die Aktionswoche in diesem Jahr erstmals gemeinsam von den evangelischen Landeskirchen in Baden und in Württemberg, den katholischen Bistümern Freiburg und Rottenburg-Stuttgart sowie der Evangelisch-methodistischen Kirche verantwortet.

Damit bildeten die christlichen Kirchen „ein starkes Bündnis für Demokratie und Menschenrechte“, sagt Schieszl-Rathgeb, Leiterin der Abteilung Kirche und Gesellschaft im Bistum Rottenburg-Stuttgart. Dies sei wichtig gerade in einer Zeit, „in der die Spaltung in unserer Gesellschaft leider zunimmt und in der zusammen mit rechtsextremen und dem Wortsinn nach exklusiven Ideologien auch die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen hinterfragt und sogar auch abgelehnt wird“.

Die Caritas-Begegnungsstätte hat auch ein inklusives Basketballteam, die „Treffpunkt 89er“, die bei den Special Olympics National Games in Berlin dabei waren. Sportler ohne und mit Behinderung spielen hier zusammen in einer Mannschaft und trainieren beim TV 89 Zuffenhausen. Wenn man die Spieler reden hört, ist viel von Spaß die Rede. Aber auch davon, „wie man die jeweiligen Stärken des Anderen gut in Szene setzen kann“, schildert Felix Groß. Über seinen gehandicapten Mitspieler Florian Kuhn sagt er: „Flo hat zum Beispiel einen guten Zug zum Korb.“

Das christliche Menschenbild sehe in einer Behinderung nichts Mangelhaftes, betont Marc Witzenbacher, evangelischer Prälat für Südbaden. Aus christlicher Sicht seien Menschen „keine perfekten Wesen“, sondern verletzlich. Jede und jeder könne plötzlich durch eine Krankheit oder einen Unfall auf Hilfe angewiesen sein. Das schließe „jedwede herablassende Haltung oder Dominanz“ gegenüber Menschen mit Behinderung aus. Eine Unterscheidung zwischen normal und unnormal sei künstlich.