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Autorin: “Menschen ins Licht stellen, die sonst übersehen werden”

„Grenzsituationen faszinieren mich“, sagt die Würzburger Autorin Ulrike Schäfer. Ihr Buch „Schmaler Grat“ ist im Alfred Kröner Verlag (Stuttgart) erschienen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert sie das Schreiben zwischen Fiktion und Realität und den Mut zu offenen Enden.

epd: Frau Schäfer, im Zentrum Ihres Buches „Schmaler Grat“ stehen Figuren, deren Leben durch ein Ereignis – innerlich oder äußerlich – aus dem Gleichgewicht gerät. Wie kamen Sie darauf?

Schäfer: Diese Grenzsituationen faszinieren mich. Auslöser können persönliche Krisen sein wie Krankheit, Trauer oder Tod, aber auch äußere Einflüsse mit gesellschaftlicher Dimension – etwa Druck am Arbeitsplatz oder sexuelle Belästigung.

epd: Haben Sie ähnliche Erfahrungen selbst gemacht?

Schäfer: Was meinen Figuren widerfährt, habe ich nicht selbst erlebt. Ich schreibe rein fiktiv – keine Autobiografie, keine Autofiktion. Natürlich können einzelne Szenen auf eigenen Erfahrungen beruhen, aber oft entstehen sie durch Erzählungen anderer, Texte, Berichte oder Recherchen. Für das Buch habe ich beispielsweise Interviews mit Intensivschwestern und -pflegern geführt – etwas, das ich selbst nie erleben könnte.

epd: In Ihren Geschichten verzichten Sie bewusst auf eine klare Auflösung. Warum?

Schäfer: Ich versuche schon, dass jede Geschichte ein Ende findet, aber ich mag offene Enden als literarische Form. Ich möchte Leserinnen und Leser nicht festlegen, sondern sie einladen, weiterzudenken, zu interpretieren. Oft bleibt etwas in der Schwebe – und genau das wirkt nach.

epd: Gibt es eine Botschaft, die Sie mit dem Buch vermitteln wollen?

Schäfer: Eine Botschaft im engeren Sinne habe ich nicht. Botschaften gehören meiner Meinung nach eher in politische Statements oder Sachartikel. Literatur sollte Fragen stellen, irritieren, zum Nachdenken anregen. Mir ist wichtig, Menschen ins Licht zu stellen, die sonst übersehen werden – stille, leise Figuren, Opfer familiärer Gewalt oder Menschen, deren Schicksale im Verborgenen bleiben. Keine Botschaft also, eher ein Anliegen.

epd: Wie kamen Sie zum Schreiben?

Schäfer: Das wollte ich schon als Kind. Ich habe allen erzählt: Ich werde Schriftstellerin. Später wurde es komplizierter, weil mir gesagt wurde: „Das ist doch kein Beruf.“ Und ich hatte auch andere Interessen – neben der künstlerischen auch eine analytische Seite. Ich habe Germanistik, Philosophie und Informatik studiert. Beruflich war ich viele Jahre in der IT. Doch irgendwann wurde das Schreiben zu wichtig.

epd: Also eine Art späte Rückkehr zum eigentlichen Berufstraum?

Schäfer: Ich hatte lange das Gefühl, mein Leben habe noch nicht richtig angefangen. Dieses Unruhegefühl verschwand, als ich wieder zu schreiben begann. Da wusste ich: Das ist es.

epd: Und der Erfolg zeigt, dass es richtig war.

Schäfer: Ich freue mich sehr darüber. Natürlich gelingt nicht alles – Scheitern gehört zum Schreiben dazu. Aber dass meine Texte jetzt Menschen erreichen, das ist ein großes Glück. (2725/28.10.2025)