„Aus diesen Ergebnissen können wir viel lernen“

Der bayerische Landesbischof Christian Kopp ist überrascht über die Kritik der Forscherinnen und Forscher der ForuM-Studie zur schlechten Datenlage. Ihm sei wichtig, dass man nun „nicht nur auf diese Zahlen oder auch auf die Datengrundlage“ blicke, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag: Das Gros der Studie beschäftige sich schließlich qualitativ mit dem Thema sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie: „Aus diesen Ergebnissen können wir viel lernen.“ Zugleich regte Kopp eine Dunkelfeldstudie an und sprach sich für ein staatliches Aufarbeitungsgesetz mit festgeschriebenen Anerkennungsleistungen aus.

In der am Donnerstag vorgestellten Studie ist von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern in Kirche und Diakonie die Rede. Die bayerische Landeskirche hatte den Forschern 253 Taten zwischen 1917 und 2020 gemeldet. Die Forscher betonten dabei, dass dies nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“ sei. Nach einer von beteiligten Forschern als „sehr spekulativ“ bezeichneten Hochrechnung ergebe sich eine Zahl von mehr als 9.000 Betroffenen bei geschätzt rund 3.500 Beschuldigten. Bislang war nur bekannt, wie viele Betroffene sich bislang an die Landeskirchen gewandt hatten. Laut EKD waren das 858 bundesweit.

Kopp sagte, die Forscherinnen und Forscher hätten sehr genau gewusst, „was es bei der katholischen Kirche für ein personeller und finanzieller Aufwand war, die Personalakten von rund 38.000 Klerikern zu sichten“. Sie seien zum Teil schließlich selbst daran beteiligt gewesen. Allein für den Bereich der bayerischen Landeskirche wäre es ein Vielfaches gewesen – mindestens eine hohe sechsstellige Zahl, sagte Kopp: „Das hätten wir im Erhebungszeitraum der ForuM-Studie schlichtweg nicht umsetzen können.“ Deshalb habe man sich – laut Kopps Einschätzung gemeinsam mit den Forschenden – auf die Disziplinarakten beschränkt.

Der bayerische Landesbischof pocht nach Veröffentlichung der Ergebnisse der ForuM-Missbrauchsstudie auf einheitliche Verfahrenswege und Anerkennungsleistungen in der evangelischen Kirche. Bis zu diesem Herbst sollte in allen 20 evangelischen Landeskirchen bei Meldungen von sexualisierter Gewalt ein einheitliches und transparentes Vorgehen umgesetzt sein, hatte er am Freitagmorgen bereits der Evangelischen Funk-Agentur (efa) gesagt. Zudem begrüßte er, dass es im Bund nun endlich Bestrebungen gebe, ein Aufarbeitungsgesetz auf den Weg zu bringen, das Leitplanken für Aufarbeitung und Anerkennungsleistungen vorgeben soll.

„Einen solchen staatlichen Rahmen wollen wir schon lange – denn nur so können vergleichbare Verfahren innerhalb der verschiedenen Kirchen und auch in anderen Organisationen wie Vereinen geschaffen werden“, sagte Kopp. Dass der Föderalismus in der evangelischen Kirche hierzulande bei einer Vereinheitlichung nicht gerade hilfreich gewesen sei, räumte Kopp er ein. Dies sei aber auch „wenig überraschend“. Hinter jedem Fall stehe „eine Person mit unerträglichem Leid“. Und die sollte nach Kopps Einschätzung mit „niemandem, egal ob in der Kirche oder anderswo, um den Modus oder die Höhe einer Anerkennung streiten müssen“.

Grundsätzlich will Kopp bei der weiteren Aufarbeitung aber nicht so sehr die ermittelten Betroffenen- und Täter-Zahlen in den Blick nehmen, sondern vor allem die spezifisch evangelischen Gründe für Missbrauch. „Wir haben ein Nähe-Thema, ein Macht-Thema und ein Harmonie-Milieu“, sagte er der efa. Zudem müsse man sich damit befassen, dass sich die evangelische Kirche in der Vergangenheit vieles schöngeredet habe. Die übliche Kirchenpraxis der Bitte um Vergebung müsse man „zeitnah“ überprüfen. Sie war im Rahmen der Studie von vielen Missbrauchsopfern kritisiert worden. Die ForuM-Studie sei ein Start- und kein Endpunkt, sagte Kopp.(00/0320/26.01.2024)