Aus der Ukraine geflüchtet: So geht es ihnen heute in Deutschland

Vor zwei Jahren fanden viele Menschen aus der Ukraine in Deutschland Schutz vor dem Krieg, auch in Kirchengemeinden. Hier erzählen sie, wie es ihnen seitdem ergangen ist.

Viel Sympathie für die Ukraine herrscht beim Kirchentag – wie hier bei einem ökumenischen Gottesdienst (Archivbild)
Viel Sympathie für die Ukraine herrscht beim Kirchentag – wie hier bei einem ökumenischen Gottesdienst (Archivbild)epdbild / Friedrich Stark

Oleksandra B.: „Ich fühle mich an zwei Orten zuhause“

Oleksandra B.
Oleksandra B.Markus-Kirchengemeinde Berlin-Steglitz

 

„Ich bin seit über einem Jahr hier in Deutschland. Ich genieße die Ruhe, das Gefühl von Schutz. Und ich hätte nie gedacht, dass es zwei Orte geben kann, an denen ich mich zuhause fühle: in meiner Heimat Kyiv und nun hier in Berlin. Zum Jahreswechsel war ich in der Ukraine, um meinen Mann und meine Mutter zu besuchen. Wir ahnten, dass wir zu Silvester wieder bombardiert werden; und die Bomben kamen auch. Als ich zurückkam nach Berlin, hat sich das gleich wie Heimat angefühlt.

Natürlich mache ich mir Sorgen um meine Familie in der Ukraine. Meine Mutter sagt immer: „Gott hat uns nicht verlassen, fürchte dich nicht.“ Wir telefonieren täglich, manchmal mehrfach. Wenn ich in den Nachrichten sehe, dass Kyiv bombardiert wird, rufe ich gleich an und frage, wie die Lage in ihrem Viertel ist. Unsere Regierung sorgt dafür, dass die Telekommunikation kostenlos ist. Das ist sehr wichtig für uns. Meine Tochter ist drei Jahre alt und geht hier in die Kita. Sie vermisst ihren Papa und hat große Sehnsucht. Sie telefoniert täglich mit ihm über mein Handy: Sie sieht ihn dann auf dem Display und zeigt ihm ihre Spielsachen oder sucht ihre Kuscheltiere. Mein Sohn ist 17 Jahre alt und geht zur Berufsschule, er lernt Fliesenleger. Er hat gut Deutsch gelernt und möchte arbeiten. Er will etwas zurückgeben für all das Gute, das wir erfahren haben. Wir haben auf unserem Weg hierher nur gute Menschen getroffen.

Der Krieg hat unsere Familie auseinandergerissen. Ich verstehe erst jetzt, wie unendlich wertvoll es ist, geliebte Menschen in der Nähe zu haben. Ich vermisse meinen Mann jede Stunde. Ich wünsche allen Menschen hier, dass sie in Frieden leben können – und dass sie ihr Leben mit ihren Lieben schätzen können. Das Wichtigste ist: die Familie und ein Zuhause.

Oleksandra B. (40) ist zu Gast in der Markusgemeinde Berlin-Steglitz

Tetjana, Halyna, Vira Pavlenok: „Wir gehen unseren Weg“

Tetjana (64), Halyna (38) und Vira (27) Pavlenok aus Potsdam
Tetjana (64), Halyna (38) und Vira (27) Pavlenok aus Potsdamprivat

Wir sind eine Familie aus der Ukraine, aus Chernihiv, einer Stadt im Norden der Ukraine. Wegen des Krieges in unserem Land wohnen wir seit März 2022 in Deutschland. Als wir in Potsdam ankamen, sprachen wir kein Deutsch und wussten nicht, was wir tun sollten. Mehr als zwei Monate lasen wir lediglich die Nachrichten aus der Ukraine, in der Hoffnung, dass der Krieg bald enden würde. Alles war für uns ausgesprochen kompliziert. Einerseits konnten wir nicht in unserem Heimatland bleiben, andererseits hatten wir im Ausland nichts.

Vom ersten Tag an in Deutschland haben wir viele gute Menschen kennengelernt, die uns geholfen haben. Eine deutsche Familie teilte ihr eigenes Haus mit uns. Später im Sommer 2022 erhielten wir alle notwendigen Unterlagen und die Wohnung in Potsdam. Im Herbst konnten wir endlich an den Deutschkursen teilnehmen.

Halyna begann den Integrationskurs, der bereits im Februar endete. Sie erreichte die Anerkennung ihrer Diplome. Nun macht sie ein Praktikum als Buchhalterin in einem deutschen Büro. Vira nahm im Herbst 2022 an einem Pre-Study-Programm an der Alice-Salomon-Hochschule teil, das noch andauert. Die Mutter Tetiana lernt Deutsch in einer Sprachschule. Die Möglichkeiten, die Deutschland bietet, sind wichtig für die Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind. Egal wie schwierig es ist, wir melden uns ehrenamtlich, um der ukrainischen Armee zu helfen. Wir sind Deutschland dankbar, dass wir uns hier sicher fühlen und unseren Weg weitergehen können.

Tetjana (64), Halyna (38) und Vira (27) Pavlenok aus Potsdam

Vera Yakovenko: „Es ist eine Herausforderung“

Vera Yakovenko (46) ist Lehrerin an der Evangelischen Schule Neuruppin
Vera Yakovenko (46) ist Lehrerin an der Evangelischen Schule NeuruppinChristine Schulz

Es fällt mir schwer zu glauben, dass fast zwei Jahre vergangen sind, seit ich die Ukraine verlassen habe. In dieser Zeit habe ich neue Erfahrungen gesammelt, die ich vorher nicht gemacht habe. Ich habe neue Menschen kennengelernt und ich habe auch schon Erinnerungen, die mit Deutschland verbunden sind. Selbst in schwierigen Zeiten habe ich immer daran geglaubt, dass Gott mich nicht verlässt und mir gute Menschen schenkt, und so ist es auch gekommen. Ich bin zufrieden, weil es mir gelungen ist, eine Arbeit zu finden, zunächst als Sozialarbeiterin bei ESTA Ruppin und dann an der Evangelischen Schule in Neuruppin, wo ich Kunst und Theater unterrichte.

Dennoch gibt es Zeiten, in denen ich das Gefühl habe, dass ich immer noch nicht ganz in Deutschland angekommen bin und in einem Zustand des „Dazwischen“ lebe. Ich kommuniziere mit vielen Familien, jeder hat seine eigene Situation. Es ist sehr schwer für diejenigen, deren Männer in der Ukraine geblieben sind und die nicht zusammen sein können – es ist eine schwierige Herausforderung für beide Ehepartner und Kinder. Auch bei den Jugendlichen gibt es unterschiedliche Anpassungsprozesse. Einigen fällt es leichter, im Ausland zu bleiben, während andere ihre Heimat sehr vermissen.

Ich habe meine Mutter in der Ukraine, die wegen des Krieges ihre Arbeit verloren hat. Aber es ist ihr wichtig, in ihrer Umgebung zu bleiben, auch wenn ihre Stadt manchmal bombardiert wird. Wir bleiben in Kontakt und sie kommt mich besuchen, aber sie will nicht umziehen. Natürlich mache ich mir Sorgen um sie und muss arbeiten, um sie unterstützen zu können. In dieser Zeit habe ich leider einige meiner ehemaligen Kollegen aus der Ukraine verloren, die durch den Krieg umgekommen sind. Ich musste meinen Beruf wechseln und neue Seiten an mir entdecken, um weitermachen zu können. Ich kann sagen, dass ich immer noch auf der Suche nach einem neuen Ich bin.

Vera Yakovenko (46) ist Lehrerin an der Evangelischen Schule Neuruppin

Victoria Hetmann: Kein Gefühl der Sicherheit“

Victoria Hetmann
Victoria Hetmannprivat

„Ich bin dem deutschen Staat sehr dankbar, insbesondere den Ehrenamtlichen, die helfen und unterstützen. Leider gibt es kein Gefühl der Sicherheit. Ich habe viele Fragen, wie sich mein Leben in Zukunft entwickeln wird. Vor uns liegt etwas Unbekanntes, das Angst macht, so dass ein ständiges Gefühl der Unruhe herrscht. Mein Leben hat sich dramatisch verändert, aber es ist schwer zu sagen, ob ich mich in Deutschland verwirklichen kann.

Ich sehe Perspektiven für die Entwicklung meines Sohnes. Den Kontakt zur Familie halten wir durch Anrufe über das Mobiltelefon oder das Internet.“

Victoria Hetmann (39) kam mit ihrem Sohn aus Kiew nach Jüterbog

Tetiana Zodorozhna: „Die Menschen hier helfen gern“

Tetiana Zodorozhna (45) mit ihrem Mann
Tetiana Zodorozhna (45) mit ihrem Mannprivat

Natürlich fühle ich mich hier in Deutschland wohl. Ich habe hier, was ich brauche. Ich bin mit vielen Menschen in Kontakt, die wie ich denken. Hier ist ein sicherer Platz. Die Menschen im Rathaus, Jobcenter oder der Arztpraxis sind sehr freundlich und respektvoll. Sie helfen gern.

Mein Leben hat sich den letzten zwei Jahren total verändert. In der Ukraine hatte ich ein Haus und arbeitete als Lehrerin. Hier ist es ein langer Weg, bis ich das wieder tun kann. Ich muss die deutsche Sprache lernen und kämpfe mit der Bürokratie. In Deutschland muss man Lizenzen, Dokumente und Zertifikate vorlegen.

Mein Mann war Elektriker und Hausmeister in einer Schule. Er hat keinen Berufsabschluss, wie man das in Deutschland hat, nur einige Zertifikate. Als wir geflüchtet sind, haben wir nicht zuerst an unsere Papiere gedacht. Wir möchten uns gern hier in Deutschland einbringen und nicht auf Sozialleistungen angewiesen sein.

Zum Glück sind unsere drei Kinder in Polen und studieren dort. Wir telefonieren täglich und können sie sogar besuchen. Für Verwandte und Freunde organisieren wir regelmäßig über die Organisation „International Inclusion Foundation“ Hilfstransporte in die Ukraine. Wir basteln Kerzen, die allen, die ohne Elektrizität leben müssen, Licht und Wärme geben. Übrigens freuen wir uns immer über Spenden von Wachsresten und leeren Konservendosen, die wir dafür benötigen.

Tetiana Zodorozhna (45) ist Lehrerin und lebt in Niesky

Andrij L.: „Deutschland tut so viel für uns“

Andrij L.
Andrij L.Markuskirchengemeinde Steglitz

Ich würde gerne alle umarmen, die dies lesen. Denn ich bin so dankbar für alle Hilfe, die ich hier erfahren habe. Deutschland tut so viel für uns und die Ukraine. Unzufriedenheit fände ich unanständig. Ich war nie im Ausland, bin erst durch den Krieg hierher gekommen. Vieles in Berlin scheint mir wie ein Paradies, etwa die Medizin. Meine Krankheit wurde erst hier richtig behandelt. In der Ukraine wurde ich ausgemustert, weil ich gesundheitlich nicht stabil bin und damit ein Risiko für meine Kameraden wäre.

Dabei würde ich jetzt lieber meinem Land dienen. Ich habe in einer Anti-Terror-Einheit gedient. Als 2014 russische Kräfte Mariupol angriffen, waren wir die ersten an der Front. Hier fällt es mir unsagbar schwer, Kontakt zu halten zu meinen alten Kameraden. Manche werfen mir vor, ich wäre abgehauen. Das trifft mich hart. Viele meiner alten Kameraden dienen an der Front. Viele sind gefallen, andere in russische Gefangenschaft geraten. Obwohl ich weiß, dass ich nichts für meine Krankheit kann, fühle ich mich schuldig. Ich bin unheimlich müde. Ich bin mit meiner Frau und meiner kleinen Tochter hier. Wir sind in Sicherheit, das zählt. Aber wir streiten uns auch viel, es gibt so viele Spannungen und Ängste. Wenn ich mit meinen Eltern oder meinem Bruder telefoniere, – sie leben in einem Dorf nahe der Front – , dann höre ich im Hintergrund die Explosionen. Daran haben wir uns schon gewöhnt.

Ich wünsche mir, dass wir drei hier eine kleine Wohnung finden können. Und ich will arbeiten. Ich will hier etwas tun, das sinnvoll ist. Ich möchte etwas zurückgeben!

Andrij L. (30) ist zu Gast in der Markusgemeinde Berlin-Steglitz