Aus dem Krieg nach Neuwerk

16 Insulaner, acht Flüchtlinge – auf Neuwerk hat der Hotelier Steffan Griebel seine Gästezimmer für die Netrebjaks aus dem Westen der Ukraine geöffnet. Sie hatten sich erst zur Flucht entschieden, als sie aus ihrer Wohnung die Bomben fallen sahen.

Gemeinsames Grillen: Insulaner heißen die geflüchtete Familie Netrebjak auf Neuwerk willkommen.
Gemeinsames Grillen: Insulaner heißen die geflüchtete Familie Netrebjak auf Neuwerk willkommen.

Neuwerk. Diese friedliche Ruhe ist ihnen sofort aufgefallen. Die angenehme Atmosphäre direkt hinter dem Deich war das Erste, was die Familie Netrebjak registriert hat. Während bei ihnen zuhause in der Ukraine der Krieg tobt, kreischen hier die Möwen, und der Wind weht – auf der kleinen Insel Neuwerk vor der Elbmündung.

Dass die achtköpfige Familie bei ihrer Flucht auf dem Mini-Eiland vor Cuxhaven gelandet ist, haben sie Familie Griebel zu verdanken. Steffan Griebel sah im Fernsehen einen Bericht über eine Bremerin, die aus der Ukraine stammt und sich nun für ehemalige Kommilitonen einsetzt. Griebel nahm Kontakt mit ihr auf – und kurze Zeit später kam die Anfrage für Familie Netrebjak. „Wir mussten nicht lange überlegen“, sagt Griebel. Er betreibt auf Neuwerk ein Hotel, das nicht zuletzt wegen Corona noch nicht in die Saison gestartet ist. So stellen die Griebels den Netrebjaks nun ihre Gästezimmer zur Verfügung.

Ein weiter Weg für Familie Netrebjak

Als am 24. Februar der Krieg ausbricht, bleiben die Netrebjaks zunächst in ihrer Heimatstadt Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine. Doch dann wird der Flughafen bombardiert, von ihrer Wohnung hört die Familie die Explosionen und sieht Flammen aufsteigen. „Da haben wir uns entschieden zu gehen“, erzählt Mutter Swetlana Netrebjak. Nur ein paar Sachen packen sie schnell, dann brechen sie auf.

Mit den sechs Kindern im Alter von 7 bis 19 Jahren geht es im Zug zur Grenze. Auch Vater Ruslan schafft es nach Polen, obwohl er mit seinen 41 Jahren die Ukraine eigentlich nicht verlassen darf. „Gott war auf unserer Seite“, sagt die Christin Swetlana. „Wegen unseres Glaubens würde niemand in unserer Familie eine Waffe anfassen.“

48 Stunden später kommt die Familie in Cuxhaven an, wo Steffan Griebel sie empfängt – und zwar mit einem Traktor. Denn die Fähre nach Neuwerk fährt erst ab April. Im Winter geht es auf die Insel nur durchs Watt per Trecker mit überdachtem Anhänger.

Ausgerechnet an diesem Tag ist es neblig, und als sie auf dem Festland losfahren, ist Neuwerk nicht in Sicht. Das müsse schon ein komisches Gefühl für die Familie gewesen sein, erinnert Griebel sich.

Ein Inselleben mit 16 Einheimischen und acht Flüchtlingen

So leben momentan auf Neuwerk 16 Einheimische und acht Flüchtlinge. Tagsüber machen die Neu-Insulaner Spaziergänge und verfolgen die Nachrichten aus der Heimat, denn sie haben noch Verwandte in der Ukraine. Nur auf einen Gottesdienst müssen die gläubigen Netrebjaks verzichten. Auf Neuwerk gibt es keine Kirche, lediglich zweimal im Jahr kommt ein Pastor vom Festland für einen Gottesdienst auf die Insel.

Dreimal am Tag essen die beiden Familien zusammen, neulich haben sie bei Sonnenschein direkt hinterm Deich gegrillt. „Beim Essen lernen wir uns immer besser kennen“, sagt Steffan Griebel. Dabei ist die Verständigung nicht immer leicht. Die Netrebjaks sprechen kein Deutsch und nur etwas Englisch. Doch Steffan Griebels Frau Alina kommt aus Polen, und Polnisch und Ukrainisch sind verwandte Sprachen. Und wenn nichts mehr geht, hilft das Handy mit der Übersetzungs-App.

Insel Neuwerk für die Netrebjak nur eine Zwischenstation

Auch eine Kleiderspende haben die Griebels inzwischen organisiert. „Eine solche Fürsorge habe ich sonst nur von meiner Mutter bekommen“, lobt Swetlana ihre deutschen Gastgeber. Und Steffan Griebel betont, dass es einfach ein „schönes Gefühl“ sei, helfen zu können und Menschen in entscheidenden Phasen ihres Lebens beizustehen.

Dennoch plant Familie Netrebjak, Neuwerk bald wieder zu verlassen. Die jüngeren Kinder können auf der Insel nicht zur Schule gehen, die älteste Tochter Victoria (19) will ihr Mode-Studium fortsetzen, Sohn Denis (17) seine Ausbildung als Zahntechniker. Auch die Eltern wollen wieder arbeiten. Mutter Swetlana ist Kinderärztin, Vater Ruslan arbeitet als Handwerker. Doch eines ist bereits klar: Die Griebels wollen den Netrejaks weiter helfen, auch wenn sie nicht mehr auf Neuwerk wohnen.