In der Bonner Synagogengemeinde soll künftig vieles anders werden: mit einem der jüngsten Vorstände bundesweit und Plänen für eine neue Synagoge mit eigenem Campus – 87 Jahre nach den NS-Novemberpogromen.
Jakov Barasch hat viel vor. Er sitzt auf einem der Plätze in der Bonner Synagoge und spricht engagiert über die Pläne. Es sind nicht nur seine, sondern auch die von Jana Sokol. Sie sind mit 29 und 27 Jahren einer der jüngsten Synagogenvorstände in Deutschland. Neuen Schwung wollen beide in die rund 900 Mitglieder zählende Gemeinde am Rhein bringen: eine Kita eröffnen, moderner werden, die Jugendarbeit stärken, einen eigenen Rabbiner anstellen – und vor allem eine neue Synagoge mit angeschlossenem Campus bauen.
“Es geht darum, jüdische Normalität zu schaffen”, erklärt Barasch. Auch wenn die Zahl antisemitischer Vorfälle und Straftaten stark gestiegen ist und viele Jüdinnen und Juden vorsichtig sind, betont er: “Es ist keineswegs unser Wunsch, uns zu verstecken.” Der Rückzug ins Private erinnere an dunkle Zeiten, sagt der 29-Jährige, dessen Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion stammen. “Das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen.” Stattdessen: selbstbewusst zum Judentum stehen und selbstverständlich ein Teil der Bonner Stadtgesellschaft sein. “Wir haben hier gute Partner und Freunde.”
Barasch und Sokol sind im Grunde das, was sich der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, für die Gemeinden wünscht: junge Menschen, die sich einsetzen. “Es fehlt an engagiertem Nachwuchs”, hatte Schuster zum 75-jährigen Bestehen des Zentralrats im Juli der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) gesagt. Und: “Darüber hinaus müssen die Gemeinden vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung gestärkt werden.”
Die Gemeinde in Bonn ist osteuropäisch geprägt, mit Blick auf das Alter der Mitglieder eher älter und bundesweit die “Nummer 20”, was die Mitgliederzahl angeht, so Barasch. Sie gehört zum Zentralrat und ist eine sogenannte Einheitsgemeinde mit einer Synagoge nach orthodoxem Ritus. Entsprechend soll auch der neue Rabbiner zur Gemeinde passen – und junge Leute ansprechen, von denen es gerne mehr werden könnten, wie Barasch betont. “Die Menschen erwarten etwas von ihrem Seelsorger.” Seit 1934 habe die Gemeinde kaum je einen eigenen Rabbiner gehabt, die Gastrabbiner seien etwa aus Antwerpen angereist.
“Unser Ziel ist, dass wir positives jüdisches Leben schaffen”, betont Barasch. Der Vorstand würde sich freuen, wenn mehr junge Leute und Familien den Weg in die Gemeinde fänden, für die eben auch die neuen Angebote geschaffen werden müssten. Der gebürtige Hannoveraner kam für das Studium nach Bonn. In dieser Zeit habe er auch verstärkt zur Religion gefunden, erklärt der 29-Jährige mit Bart, Kippa, dunklem Anzug und modischen Turnschuhen.
Wenn es um die geplante neue Synagoge geht, sagt er, dass die Gemeinde zunächst ein Provisorium in der Nähe der aktuellen Synagoge beziehen werde, die schon in die Jahre gekommen ist und deren Frauenempore aus Brandschutzgründen nicht genutzt wird. Die Standortsuche für ein neues Gebäude läuft, spruchreif ist laut Barasch allerdings noch nichts. Sein Wunsch ist, dass die künftige Synagoge wie bisher in der Nähe der Innenstadt liegen und Platz für den geplanten Campus bieten sollte.
Dazu gehört nicht nur die Kita. Sokol und Barasch wünschen sich helle, moderne Räume für Feierlichkeiten und die Zusammenkünfte am Ruhetag Schabbat. Derzeit finden all das und auch der Religionsunterricht für Kinder in einem Raum im Keller statt. “Das ist weder schön noch inspirierend”, sagt Barasch. Nötig sei auch eine Mikwe, das rituelle Bad. Es solle zudem möglich sein, Vorträge und Konzerte auf einem eigenen Campus anzubieten. Barasch schwebt außerdem ein koscheres Café vor und überhaupt ein verbessertes Angebot an koscheren Produkten für die Gemeindemitglieder.
Bei all dem geht es auch um das Thema Sicherheit, wie bundesweit überall bei Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen. “Eine solche Realität sollten wir aber nicht akzeptieren”, betont Barasch. Die Pläne für eine neue Synagoge und damit die Zeichen für einen Aufbruch fallen nun auch in die Zeit des 87. Jahrestages der Novemberpogrome von 1938, als die Nationalsozialisten möglichst viele Synagogen zerstören wollten. An die Opfer will die Gemeinde wie jedes Jahr mit der Stadt in einer Gedenkveranstaltung erinnern.