Auf Tuchfühlung mit Paulus

Elf Wochen lang reist Hans Christian Brandy, der Landessuper­intendent für den Sprengel Stade, mit dem Fahrrad durch Europa – vom schottischen Iona bis nach Israel. Auf seinem Pilgerblog berichtet er darüber.

Zwischenziel erreicht: die Akropolis in Athen im Abendlicht.
Zwischenziel erreicht: die Akropolis in Athen im Abendlicht.Hans Christian Brandy

Rom/Piräus. „Hossa, hossa“, ruft der alte Mann. Er sitzt vor seinem Haus und dann das: Mit vollgepackten Satteltaschen strampelt ein deutscher Radfahrer im italienischen Hochsommer bei mehr als 30 Grad die Bergstraße hinauf. Der Radler ist der Stader Landes­superintendent Hans Christian Brandy. Seit Mitte Juni ist er unterwegs. Mehr als 5000 Kilometer hat er inzwischen zurückgelegt. In den vergangenen zwei Wochen ging es für den 60-Jährigen von Rom nach Athen – durch das Apennin-Gebirge, vorbei an dem Haus des begeisterten alten Mannes.

Los ging die jüngste Etappe in Rom. Es gab Zeiten, in denen mussten Pilger dort in allen sieben Pilgerkirchen gewesen sein. Brandy sieht das nicht so eng. Nur den Besuch in „seiner Kirche“ lässt er sich nicht nehmen: San Paolo fuori le Mura – Sankt Paul vor den Mauern. Es ist vor allem der Vorhof der Kirche, der Brandy berührt. „Umfriedet, schön bepflanzt, ein Ort großer Ruhe in dieser hektischen Stadt. In der Mitte ein Standbild des Paulus, der hier begraben sein soll.“ Damit ist Brandy auf seiner Pilgerreise bei den Anfängen des Christentums angekommen.

An einem Tag 1200 Höhenmeter überwunden

Von dort geht die Fahrt ans Meer Richtung Ostia, dann weiter gen Süden, vorbei an malerischen Ortschaften, über herrliche Küstenstraßen. Das Ziel: Neapel. Andere Radfahrer trifft Brandy nun nur noch selten. Während er in Frankreich fast auf jedem Campingplatz einen „Kollegen“ zum Plaudern und Weintrinken fand, ist er nun umgeben von italienischen Dauercampern. „So führe ich ein ziemliches Einsiedlerleben, was ich aber gut haben kann.“

Während Brandys Pilgerweg in England, Frankreich und Norditalien gesäumt von geistlichen Orten war, sind diese im Süden Italiens spärlicher gesät. „Aber der Weg bleibt ja durch meine innere Bewegung ein Pilgerweg.“ Und damit das eigentliche Ziel der Reise.

 

Was auffällt, ist der zunehmende Müll am Straßenrand, besonders in Neapel wird das Problem sichtbar. Nach der Stadt geht es für ihn über das Apennin-Gebirge. Die erneute Querung erweist sich als harmloser als befürchtet, auch wenn das Navi am Ende des Tages 1200 Höhenmeter anzeigt. Anstrengender ist die folgende Fahrt durch die Ebene. Heißer Wind von vorn, miserable Straßen und Schotterwege, unwegsames Gelände: „Das war eine der Stellen, wo die Pilgertour etwas von einer Wüstenerfahrug hat.“

Schlaflager im Freien an Deck der Fähre

Als dann ein Bahnhof auftaucht, kommt er kurz in Versuchung. Aber nur kurz: „Ich habe viel zu viel Freude daran, wirklich jeden lausigen Kilometer mit eigener Kraft zu fahren.“ Und dann wird Brandy mit einem spektakulären Sonnenuntergang belohnt. „Soll ich das schreiben? Mir sind unvermittelt die Tränen gekommen“, schreibt er. „Ich weiß jetzt schon, dass ich es einmal als eine uneingeschränkt glückliche Zeit sehen werde. Und zur überwältigend schönen Erfahrung kommt langsam auch die Einsicht: Diese Zeit geht auch zu Ende“, notiert er in seinem Blog.

Brandys Zeit in Italien jedenfalls ist mit seiner Ankunft in Bari zu Ende: Mit dem Schiff geht es über die Adria nach Griechenland. 14 Stunden dauert die Überfahrt. Eine Kabine ist für den Landessuperintendenten nicht mehr frei. „Aber ich habe ja Camping­sachen dabei. Meine Matte liegt jetzt im Freien auf einem Deck unter freiem Himmel. Das ist doch mal was …“, schreibt er.
In Igoumenitsa betritt er griechisches Festland, fährt an der Küste entlang gen Süden. Bald liegt der Ambrakische Golf vor ihm, den es zu umfahren gilt, teilweise auf unbefestigten Straßen und – bisheriger Rekord – bei Grad Hitze. Bis zu neun Liter trinkt Brandy an solchen Tagen, dazwischen badet er im Meer. An der Küste geht es nach Messolongi über die 2,8 Kilometer lange Brücke nach Patras und dann am Golf von Korinth zur gleichnamigen Stadt.

In Griechenland wird viel gebaut, etliche Straßen entstehen. Für Brandy wird es immer schwieriger, den Weg zu finden. Kurz vor der Peloponnes wird ihm das zum Verhängnis. Er steht vor einer gesperrten Straße, für die auch seine elektronischen Helfer nur eine Umleitung über die Autobahn oder das Meer finden. „Also habe ich mich am Bauzaun vorbei gemogelt und bin auf der durchaus fahrbaren Straße eine ganze Reihe von Kilometern gefahren.“ Mehrfach muss Brandy sein Rad über Gräben oder Betonabsperrungen heben. „Das war grenzwertig, ich bin froh, dass dem Rad nichts passiert ist“, schreibt er.

Vorbei an der Wirkungsstätte des Paulus

Weiter geht es vorbei an historisch bedeutsamen Landschaften wie den Bergen von Delphi ins antike Korinth, der Wirkungsstätte des Paulus. Von hier hatte dieser Briefe an die von ihm gegründeten Gemeinden geschrieben. „Ich fand einen schönen Platz im Schatten und habe dort die Apostelgeschichte 18 gelesen.“

In Griechenland spielt Kirche offenkundig nach wie vor eine große Rolle. 97 Prozent der Menschen sollen der Staatskirche angehören, schreibt Brandy. Und das merke man, gerade an Feiertagen wie Mariä Himmelfahrt. In Korinth musste der Gottesdienst nach draußen übertragen werden, weil die Kirche selbst die Menschen nicht fasste.

Über den in den 1880er-Jahren errichteten Korinth-Kanal führt Brandy der Weg weiter nach Piräus, wo ihn die dortige Deutsche Seemannsmission für zwei Tage aufnimmt, und von dort weiter nach Athen.

Hans Christian Brandy ist voraussichtlich bis zum 31. August unterwegs. Sein Blog findet sich auf www.brandy-pilgerblog.wir-e.de.