Reem Alabali Radovan ist zu spät. Das Flugzeug, das die Entwicklungsministerin am Montagabend von Frankfurt nach Johannesburg bringen sollte, flog ohne sie ab. Ihr Flieger aus Berlin hatte sich wegen eines Unwetters verspätet. „Das ist höhere Gewalt“, sagt die SPD-Politikerin achselzuckend. Der holprige Start ihrer ersten großen Auslandsreise nach Südafrika soll die 35-jährige Ministerin nicht aus der Ruhe bringen.
Die Reise in das wichtigste deutsche Partnerland in Afrika kommt zu einer Zeit, in der das Entwicklungsministerium neue Wege sucht. In Zeiten sinkender Entwicklungsgelder setzt Alabali-Radovan verstärkt auf wirtschaftliche Kooperation. Doch Investitionen in Afrika gelten als riskant, laut einer KfW-Studie machen sie weniger als ein Prozent aller deutschen Direktinvestitionen aus. Südafrika ist dabei eine Ausnahme: Rund 60 Prozent des deutschen Investitionsbestands in Afrika befinden sich hier, mehr als 600 deutsche Unternehmen sind in dem Land aktiv.
Eigentlich wollte Alabali-Radovan bereits am Dienstag deutsche Unternehmen wie BMW besuchen. Auch ein Termin beim Kabelhersteller Weinert Industries in Brits musste ausfallen. Das mittelständische Familienunternehmen aus Thüringen produziert dort seit 2023 unter anderem Glasfaserkabel. Vorstandsmitglied Marcus Bloom-Pflug sieht das ausgeprägte Sicherheitsbedürfnis deutscher Unternehmen als einen Hauptgrund für die wenigen Investitionen in Afrika. „Unternehmertum ist immer Risiko. Haftung und Verantwortung gehen damit Hand in Hand, das haben wir anscheinend verlernt“, sagt er am Rande einer Veranstaltung in Johannesburg.
Zugleich müsse sich die Wahrnehmung des Kontinents ändern, findet er: „Afrika ist kein unterentwickelter Katastrophenkontinent.“ Zwar gebe es Herausforderungen mit Korruption und nicht funktionierenden Behörden, aber gerade im südlichen Afrika existierten verlässliche Rechtssysteme, und in den meisten Ländern spreche man Englisch oder Französisch.
Diese Differenzierung ist auch Alabali-Radovan wichtig. „Afrika ist nicht gleich Afrika“, betont die SPD-Politikerin. Während Südafrika günstige Bedingungen biete, seien in weniger entwickelten Staaten öffentliche Gelder weiterhin dringend notwendig.
Der eng getaktete Terminplan führt die Ministerin durch verschiedene Stationen: Besuch eines Ausbildungszentrums in einem Township, Besichtigung eines Unternehmens, das Membranen zur Wasserstoffherstellung produziert, dazwischen ein Treffen mit dem südafrikanischen Gesundheitsminister. Alabali-Radovan lächelt, schüttelt Hände, stellt Fragen.
Und doch gibt es echte Momente jenseits des Protokolls. Etwa im Impfstoff-Forschungszentrum in Johannesburg, das vom deutschen Entwicklungsministerium unterstützt wird. Ein Laborant arbeitet konzentriert, scheinbar unbeirrt von Kameras und der großen Delegation. Die Ministerin spricht ihn an, lässt sich den Vorgang erklären. „Ich bin keine Naturwissenschaftlerin“, sagt sie entschuldigend. „Was sind Sie denn?“, fragt er. „Ich bin Politikerin“, antwortet sie bescheiden.
Alabali Radovan ist keine Wirtschaftsministerin. Ihr Fokus liegt trotz aller wirtschaftlicher Bestrebungen auf den entwicklungspolitischen Themen wie der Bekämpfung von Hunger, Armut und sozialer Ungleichheit. Alabali Radovan will eine, wie sie sagt, „Win-win-win“-Situation: Unternehmen sollen wirtschaftlich profitieren, Partnerländer Perspektiven erhalten – aber vor allem sollen die Menschen vor Ort profitieren. „Es geht mir darum, dass gute, fair bezahlte Arbeitsplätze geschaffen und Menschenrechte eingehalten werden“, sagt sie.
Es geht Alabali Radovan um Menschen wie Kagiso Methi. Die 27-Jährige steht vor einem großen Solarpanel und blinzelt in die Mittagssonne über dem Township Alexandra. Methi war lange arbeitslos. Nachdem sie ein von Deutschland gefördertes Ausbildungszentrum besucht hat, plant sie nun eine eigene Firma für Solarpanel-Reinigung aufzubauen. In Südafrika herrscht eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, fast die Hälfte der 15- bis 35-Jährigen sucht Arbeit.
Einen Tag nach ihrem Besuch im Ausbildungszentrum sitzt Alabali-Radovan in einem kleinen Flugzeug nach Skukuza zum G20-Entwicklungstreffen. Dort beschäftigen ihre Amtskolleginnen und -kollegen dieselbe Frage wie sie: Wie lässt sich Entwicklungszusammenarbeit künftig finanzieren? Eine Antwort der G20 ist die Bekämpfung illegaler Finanzströme, über die afrikanische Staaten jährlich Milliardensummen verlieren.
Alabali-Radovan wird nach dem Treffen noch weitere Projekte besuchen, bevor sie am Samstag zurück nach Berlin fliegt – sofern kein Unwetter dazwischenkommt.