Ja, Sie haben recht: Zahlen sind nicht alles! Was können die Zahlen nicht? Sie können nichts sagen über das Unsichtbare, das Werdende – unsere Zukunft. Wer den Zahlen vertraut, wird von den Zeitgeistern beherrscht.
Die heutige Lesung aus dem 2. Korinther 5,1 gibt eine klare Orientierung: „Wir wissen ja: Wenn unser irdisches Zelthaus abgebrochen wird, so haben wir von Gott her einen Bau, der – kein Gemächt von Menschenhand – unendlich in den Himmeln ist.“ (Übersetzung F. Stier) Auslegung: Wenn ein Zeitalter vorbei ist wie das des Christentums seit dem Weltkrieg, wenn ein neues Zeitalter angebrochen ist, dann verlieren die Sitten und Institutionen dieser Epoche ihre Kraft, Menschen zu binden (religio). Sie sterben mit dem Geist ihrer Epoche. So auch unsere Landeskirchentümer. Der Gründer der ökumenischen Bewegung, Nathan Söderblom, hat das 1918 einmal so ausgedrückt: „Die Zeit des Priesters ist vorbei – das war Rom, die Zeit des Leviten ist vorbei – das waren Wittenberg und Genf, jetzt hat das Zeitalter des barmherzigen Samariters angefangen.“
Der Luther im Talar der Professoren und Beamten ist deshalb ein Bild der vergangenen Epoche. Er verkörpert ebenso wenig die heute notwendige Reformation wie der Slogan „Einfach frei!“. Können wir diesen Slogan und dieses Bild den Verhungernden, Gefolterten, Heimatlosen, in denen doch Gott uns begegnet, als ihre Zukunft sagen? Können es die im Hamsterrad der geplanten Arbeit gehetzten Seelen hören? Oder die Gefangenen, denen doch ihr Ankläger und Richter in jenem Gewand erschien?
Christoph Blumhardt gab uns einen Hinweis, der uns hilft, die Vision Luthers vom Priestertum aller Gläubigen, also der Bestimmung eines jeden Menschen zu lösen und zu binden, was im Himmel und was auf Erden ist, als das Ziel des Evangeliums zu erkennen: „Sterbend leben, mein lieber Freund, ist das ganze Evangelium, und Gott gibt uns die Kraft dazu!“ Samariter sind die acht Millionen in unserem Land, die ihre geplanten Wege verlassen haben, auf ihnen gestorben sind, um der Flüchtlinge willen.
Glaube ist keine Weltanschauung, kein Identitätsmerkmal! Glauben ist die Kraft, mit der Gott uns in unsere Zukunft ruft wie Abraham; Hoffnung ist die Kraft, im Leben zu halten und ins Leben zu rufen, was schon geschaffen wurde, und ohne Liebe wären beide nichts, denn liebend verwandeln wir uns um der anderen und des gemeinsamen Lebens willen. In der neuen Missionserklärung „Together towards life Mission and Evangelization in changing landscapes“ antwortet unsere Kirche 100 Jahre nach Söderbloms Zeitansage und legt Fundamente für die Gestalt und den Weg der Christen und Kirchen in der neuen Epoche der Geschichte des Heils auf unserem Planeten Erde. Fürchten wir uns nicht! Gott ist am Werk!
Frieden sei mit Ihnen!
Thomas Dreessen, Gladbeck