Asyldebatte: Flüchtlingsrat warnt vor Dramatisierung

Angesichts einer zunehmend kontroversen Zuwanderungsdebatte hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen vor einer verzerrten Darstellung der Situation gewarnt. Die Zahl der in Deutschland Schutzsuchenden werde dramatisiert und sei faktisch viel geringer, sagte der Referent der Geschäftsführung Muzaffer Öztürkyilmaz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Von den registrierten Asylsuchenden seien etwa 25 Prozent in Deutschland geboren und müssten von dieser Zahl wieder abgezogen werden. In Niedersachsen wurden im Jahr 2023 zwischen Januar und November rund 30.000 Asylsuchende registriert, im Vorjahreszeitraum rund 18.500.

Etwa 60 bis 70 Prozent der Antragssteller hätten ein Bleiberecht. „Wir debattieren hier eigentlich nur über die 30 bis 40 Prozent, die kein Schutzrecht haben“, sagte Öztürkyilmaz. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, wie die Menschen ferngehalten werden könnten, sollte die Politik ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen, damit sie ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten könnten.

Die derzeitige Debatte habe lediglich zum Ziel, Rechtspopulisten das Wasser abzugraben, warnte Öztürkyilmaz. Wenn weiterhin suggeriert werde, die Asylsuchenden seien eine Bedrohung für die Gesellschaft, stelle sich die Frage, wie künftige Bundestagswahlen ausgehen werden. „Wenn wir in Zukunft gleiche oder höhere Zahlen haben, wen werden die Menschen dann wählen, um diese sogenannte Gefahr endlich zu besiegen?“

Asylsuchende würden bislang unzureichend und viel zu spät gefördert, kritisierte Öztürkyilmaz. Bis die Menschen bei den Arbeitsagenturen in Vermittlung kämen, dauere es in der Regel zwei Jahre. Ein wesentlicher Teil der Lösung sei ein möglichst früher Berufseinstieg mit begleitenden Sprachkursen, damit die Betreffenden ihre Deutschkenntnisse in konkreten Alltagssituationen einbringen und verbessern könnten.

„Es darf nicht wie in der Vergangenheit passieren, dass Menschen in Fabriken und Restaurants verschwinden, ohne die Möglichkeit zu einem Sprachkurs oder Sprachzugang“, warnte Öztürkyilmaz. Politik und Wirtschaft dürften sich nicht aus der Verantwortung ziehen und müssten den Menschen Sprachkompetenzen vermitteln. Die Asylsuchenden grundsätzlich zu qualifizieren und nicht nur als ungelernte Fachkraft zu beschäftigen, bringe der Gesellschaft mehr und wirke zugleich dem Fachkräftemangel entgegen.

Bei der Unterbringung Geflüchteter seien manche Kommunen tatsächlich überlastet, räumte der Geschäftsführer ein. Dies sei allerdings kein neues Problem, sondern eine Folge von jahrelangem Investitionsstau im sozialen Wohnungsbau. Im Landkreis Harburg seien die Unterkünfte voll und Flüchtlinge in Containern untergebracht, während im Landkreis nebenan viele freie Plätze vorhanden seien. Der niedersächsische Verteilungsschlüssel, nach dem Asylsuchende nach Einwohnerzahlen verteilt werden, berücksichtige nicht, welche Region bereits langfristig und vorausschauend Unterkünfte geplant habe.