Arte-Doku zur Rolle eines Radiosenders beim Völkermord in Ruanda

Der ruandische Propagandasender „Radio der tausend Hügel“ spielte 1994 eine zentrale Rolle beim Völkermord an den Tutsi. Eine Doku zeichnet die Ereignisse nach und beleuchtet, wie die Taten aufgearbeitet werden sollen.

In diesem Sommer jährt sich der Völkermord in Ruanda zum dreißigsten Mal. Hunderttausende Angehörige der Tutsi-Minderheit – manche sprechen sogar von einer Million – wurden im Sommer 1994 von Angehörigen der Mehrheit der Hutu ermordet. Auch mit den Tutsi solidarische Hutu wurden nicht verschont. Die Massaker endeten erst, als die Tutsi-Miliz RPF unter dem heutigen Präsidenten Paul Kagame die Macht im Land eroberte.

Der Titel des schockierenden Dokumentarfilms „Einer von tausend Hügeln“ von Bernard Bellefroid spielt zunächst auf eine gängige Bezeichnung des ostafrikanischen Landes Ruanda an. Die tausend Hügel verweisen aber auch auf den berüchtigten Propagandasender „Radio-Television Libre des Mille Collines“. Die Moderatoren dieses inzwischen auch als „Hate Radio“ (so der Titel eines beklemmenden Theaterstücks von Milo Rau) bekannten Senders riefen zur Ermordung der „Schlangen“ und des „Ungeziefers“ auf – womit sie alle Angehörigen der Tutsi meinten.

Am Anfang des Films ist ein Ausschnitt einer Sendung vom 19. Juni 1994 zu hören. Darin herrscht ein Plauderton vor; die Moderatoren singen ihre Mordaufrufe förmlich heraus. Wie auch bei anderen Völkermorden galt es für die Täter zunächst, ihre Opfer zu entmenschlichen, um das Töten zu erleichtern.

Am Beispiel eines Ortes versucht Bellefroid, behutsam deutlich zu machen, wie die Aufarbeitung des Völkermords teilweise gelang, was dabei aber auch schieflief. Die Opfer, von denen der Film erzählt, hießen Olivier, Fideline und Fiacre. Alle drei waren noch Kinder; das jüngste war vier Jahre alt. Sie wurden auf einem der Hügel von Nyanza, ihrer Heimat, ermordet. Ein Grab haben sie nie erhalten.

Bellefroid filmte schon vor zwanzig Jahren einige der sogenannten Gacaca-Tribunale – lokale Gerichte, die auf jahrhundertealten Traditionen beruhen und die ab 2005 jene Verbrechen aufzuklären versuchten, die ein Jahrzehnt zuvor begangen worden waren. Diese Methode zwingt den Angehörigen der Opfer Unermessliches auf: Die mutmaßlichen Täter sind durch keinerlei physische Barrieren von ihnen getrennt. Die Beschuldigten heißen Asiel, Rekeraho oder Felix. Sie wurden bereits wegen des Völkermords verurteilt. Aber haben sie auch die Morde an den Kindern begangen?

Alle schildern das Geschehen unterschiedlich. Immer wieder hört man von den Beschuldigten generalisierende Verharmlosungen: „Alle Ruander sind schuldig“. Das soll offenbar zugleich bedeuten, dass man die Taten niemandem vorwerfen kann. Der Film dokumentiert Versöhnungsgesten, aber auch die Verweigerung der Versöhnung durch Angehörige. Diese wollen zumeist wissen, was damals genau geschah, so weh es auch tut.

Es sind wahre Kriminalfälle, die hier beschrieben werden. Bellefroid und sein Kameramann Gil Decamp erzählen davon dezent und fern aller voyeuristischer Tendenzen des True-Crime-Formats. „Einer von tausend Hügeln“ ist ein Film, der keine Antworten geben will. Sondern der Fragen aufwirft: Wie erträgt es eine Mutter und wie ein Vater, neben dem Mörder der eigenen Kinder zu stehen? Wie klingt es in ihren Ohren, dass ein Mordkommando sich beim Nachbarn eine Hacke ausgeliehen hat, um die Kinder niederzumetzeln? Dass die Kinder mit Erde bedeckt wurden, obwohl sie noch gar nicht tot waren? Dass Hunde sie letztlich ausbuddelten und töteten?

Das alles bewegt sich jenseits aller Vorstellungskraft. Und doch haben diese Grausamkeiten zu Hunderttausenden stattgefunden, am Fuße dieses und tausender anderer Hügel im grünen Land Ruanda. Die Morde werden hier zwar nicht nachgestellt; doch allein, wenn man die Macheten in der Hand der Mörder sieht, läuft es einem kalt den Rücken hinunter. „Einer von tausend Hügeln“ ist allein schon auf der Tonebene eine absolute Zumutung. Aber eine lohnenswerte Zumutung.