Eine Zeitkapsel, befüllt von 100 Fotografen: Das war das “Documerica”-Projekt, das vor gut 50 Jahren die ökologische Zerstörung der USA in Bilder fasste. Davon erzählt eine Doku, die aktueller kaum sein könnte.
Vordergründig geht es um ein gigantisches Fotoprojekt, das vor mehr als 50 Jahren die ökologischen Schäden in den USA dokumentierte – und schließlich ungenutzt in Schreibtischschubladen verschwinden sollte. Tatsächlich aber könnte der Dokumentarfilm, der dieses weitgehend vergessene Kapitel US-amerikanischer Gesellschafts- und Kulturpolitik beleuchtet, aktueller kaum sein.
Schließlich sind die meisten der hier genannten Probleme nicht nur nach wie vor ungelöst, sondern – Stichwort Klimakrise – größer denn je geworden. Und wenn “Documerica”, der am 11. März von 22.40 bis 23.40 Uhr auf Arte ausgestrahlt wird, vom damaligen Bemühen um Aufklärung und Umweltschutz erzählt, läuft die dazu konträre, aktuelle Politik des Landes geistig immer mit.
Kaum zu glauben, dass Richard Nixon, der zur selben Partei gehörte wie der derzeitige Präsident und Klimawandelleugner Donald Trump, um das Jahr 1970 herum verschiedene Gesetze initiierte, die Umwelt, Luft und Wasser schützen sollten. Zudem begründete er die nationale Umweltbehörde EPA. Ebenjenes Amt, das während der ersten Präsidentschaft Trumps massiv umgebaut wurde: Laut dem renommierten Klimaforscher Benjamin D. Santer wurde diese von einer Umweltschutzbehörde zu einer “Umweltverschmutzungsbehörde” umgestaltet.
EPA-Gründer Nixon setzte sich übrigens nicht unbedingt aus Überzeugung für ökologische Maßnahmen ein: Ihm ging es vor allem um Wählerstimmen. Er griff entsprechende Bedürfnisse der Bevölkerung auf, die nach der Santa-Barbara-Ölpest von 1969 gewachsen waren.
“Documerica” wurde ins Leben gerufen, um Werbung für die EPA zu machen: ein Fotoprojekt, das die Schattenseiten des “American way of life” abbildete. 100 Fotografen wurden beauftragt, quer durch die USA die ökologischen Folgen von Wirtschaftsboom und Konsumismus zu dokumentieren. Dabei entstanden über 80.000 Fotografien, die einen so erschütternden wie vielstimmigen Einblick geben in die umfassende Fähigkeit des Menschen, seinen eigenen Lebensraum vollzumüllen.
Autowracks an Sandstränden, Sonnenuntergänge im Smog, von Ölfilmen überzogene Wasserflächen, wilde Mülldeponien, aufgerissene Landschaften. Und immer wieder der Mensch selbst, wie er sich mit apokalyptisch anmutenden Landschaften und ungesunden Lebensumständen arrangiert, im Angesicht von Fabrikschloten lebt, in verschmutzten Gewässern badet, seine Picknickdecke zwischen Unrat ausbreitet.
Wenn man diese Fotos ansehe, fühle man sich, “als hätte man eine Ohrfeige bekommen” – so formuliert es Historiker Bruce Schulman. Auch weil die Aufnahmen veranschaulichten, wie die beiden großen Mythen der USA im Konflikt miteinander stünden: “Der Mythos der unendlichen Natur, und der Mythos des unendlichen, ungebrochenen Fortschritts.”
Welch riesiges Versäumnis, letztlich nichts aus den Aufnahmen gemacht zu haben. Das Projekt versandete, aus mehreren Gründen: zu wenig Gestaltungswillen der Verantwortlichen, das Zeitschriften-Sterben, welches Veröffentlichungen erschwerte, und eine konservative Regierung, der das Material zu kritisch wurde.
Für seinen Rückblick auf “Documerica” hat Filmemacher Pierre-Francois Didek durchweg tolle, eloquente Gesprächspartner gefunden: Wissenschaftler, aber vor allem einige der damaligen Fotografen und Fotografinnen.
Aus den Interviews, den vielen, vielen Fotos, historischem Filmmaterial, archivierten Audio-Tönen sowie passenden Pop- und Rock-Songs jener Jahre montiert Didek mit Cutter William Roy eine filmische Collage, die mit ihren rasant geschnittenen Passagen, Split Screens und der verwendeten 1970er-Jahre-Typographie so formal stilbewusst wie inhaltlich eindrücklich ist.
Damit weckt der Film trotz aller gezeigten Abgründe des “American way of life” auch Wehmut, evoziert eine Zeit, als die USA noch cool und verheißungsvoll waren, ein Sehnsuchtsort. Ein “vergangenes Land”, wie es im Filmtitel heißt – und wie es seit Trumps zweiter Präsidentschaft umso mehr gilt. Die letzten, ein wenig ratlosen und betont offen formulierten Worte des Films gehören dem Fotografen Boyd Norton: “Und jetzt, wie weiter?”