Armutsforscher beklagt stetig abnehmende Solidarität
Aus Politik, Kirche und auch der Wissenschaft ist er gebetsmühlenartig zu hören: der Ruf nach mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft. Ein Forscher sieht jedoch eine gegenteilige Entwicklung – und nennt Gründe dafür.
Höhere Steuern für Superreiche fordert der Armutsforscher Christoph Butterwegge. “Es gibt in Deutschland immer mehr Multimillionäre und Milliardäre, die ohne Weiteres höhere Steuern zahlen könnten. Aber dieses Thema wird von den etablierten Parteien tabuisiert”, sagte Butterwegge der “Augsburger Allgemeinen” (Dienstag). Zugleich seien mehrere Parteien nicht bereit, sozial benachteiligten Menschen “per Gesetz unter die Arme zu greifen”.
Wenn es ums Sparen gehe, werde stets “nach unten” geschaut, so der Experte: “Entsolidarisierungstendenzen haben in unserer Gesellschaft einen weiteren Höhepunkt erreicht.” Dabei profitierten von Sozialleistungen wie dem Kindergeld nicht nur arme Menschen, sondern auch die Mittelschicht.
Zugleich hätten große Krisen wie die Corona-Pandemie, der Anstieg der Energiepreise sowie die Inflation ärmere Menschen und “Teile der Mittelschicht” stark getroffen, sagte Butterwegge. “Allein deshalb ist doch klar, dass in solchen Krisensituationen die Ausgaben des Staates steigen.”
Zudem grassiere in solchen Momenten eine Angst vor dem sozialen Abstieg. Dies führe dazu, dass Angehörige der Mittelschicht auf ärmere Menschen herabschauten, um sich vermeintlich abzusichern, “weil man ja zu den Fleißigen gehört und die anderen ihre Armut angeblich selbst verschuldet haben”. Dieser Mechanismus werde “von Politikern bewusst ausgenutzt”.
Er sehe einen “Sozialneid nach unten”, wenn über 100.000 Empfängerinnen und Empfängern des Bürgergeldes unterstellt werde, dass sie “Totalverweigerer” seien, sagte der Forscher. “Natürlich gibt es solche Menschen, die den Sozialstaat ausnutzen, aber nur in einer geringen Zahl. Eine rigide Sanktionspraxis, wie sie jetzt gefordert wird, träfe allerdings kaum Trickser und Täuscher, sondern hauptsächlich Menschen, die gesundheitliche oder psychische Probleme und so viel Angst vor dem Jobcenter haben, dass sie dessen Briefe gar nicht mehr öffnen.”
Butterwegge erklärte weiter, dass Superreiche die “komplizierte Steuergesetzgebung” oft nutzten, um dem Staat viel Geld vorzuenthalten. “Nur wird dieser Missbrauch so gut wie nie öffentlich thematisiert und problematisiert. Lieber vergreift man sich an Schwächeren, die weder Steuerberater noch Anwälte bezahlen können.”