Argentiniens politischer Konflikt um den Hunger

In Argentinien ist der Hunger zurückgekehrt. Basisorganisationen haben Suppenküchen aufgebaut, dessen Arbeit die neue Regierung von Javier Milei durch Razzien verhindern will.

Protest gegen die Privatisierungen der neuen argentinischen Regierung (Archivbild)
Protest gegen die Privatisierungen der neuen argentinischen Regierung (Archivbild)epd-bild / Malte Seiwerth

Die Razzia kam früh an einem Montagmorgen. Polizisten stürmten Mitte Mai 27 Zentren der Basisorganisation „Polo Obrero“ (Arbeiterpol) in Buenos Aires, darunter mehrere Suppenküchen. Der Vorwurf: Die Organisation habe Gelder veruntreut und Mitglieder dazu gezwungen, an Demonstrationen gegen die Regierung teilzunehmen.

Verhaftet wurde niemand, aber die rechtslibertäre Regierung von Javier Milei nutzte die Berichterstattung als Bestätigung für ihre Entscheidung, den Suppenküchen den Geldhahn abzudrehen. Der neue Präsident verweist auf kriminelle Machenschaften in der politisch orientierten Hilfsorganisation – die ihm mit ihrer Ausrichtung gegen den Strich geht. In Argentinien ist so ein politischer Konflikt rund um den Hunger entstanden.

Präsident Milei streicht staatliche Hilfen

Noch vor 20 Jahren stufte die Weltbank Argentinien als das pro Kopf reichste Land Lateinamerikas ein. Mittlerweile ist der Hunger zurückgekehrt. Laut Unicef leben derzeit etwa 70 Prozent aller Kinder unter der Armutsgrenze. Mindestlöhne und staatliche Hilfen reichen kaum aus, die Grundbedürfnisse zu decken.

Monica Troncoso leitet die Suppenküche, die der Basisorganisation "La Garganta Poderosa" angehört
Monica Troncoso leitet die Suppenküche, die der Basisorganisation "La Garganta Poderosa" angehörtepd-bild / Malte Seiwerth

In den Armenvierteln Argentiniens stehen inzwischen Tausende selbstorganisierte Suppenküchen, meist getragen durch politischen Organisationen. Sie entstanden vor allem im Zuge der Pandemie und wurden von der damaligen Regierung gefördert. Einzelne Köchinnen wurden für ihre Arbeit sogar in das Arbeitsintegrationsprogramm „Potenciar Trabajo‘“ eingeschrieben, womit der Staat ihnen einen Lohnausgleich von um die 80 Euro auszahlte. Doch unter Milei, der im Dezember das Präsidentenamt übernahm, drehte sich der Wind.

Mónica Troncoso leitet eine Suppenküche, die der Basisorganisation „La Garganta Poderosa“ (die mächtige Kehle) angehört, die selbst nicht von der Razzia betroffen war. „Schon vor der Pandemie begannen wir hier am Wochenende Mahlzeiten auszugeben, mit der Pandemie und den folgenden Jahren weiteten wir unsere Arbeit auf die ganze Woche aus“, sagt Troncoso. Derzeit geben sie laut eigenen Angaben um die 350 Mahlzeiten täglich aus.

Lage in Argentinien wird zunehmend enger

Seit Ende vergangenen Jahres gebe es keine staatlichen Lebensmittelrationen mehr, erklärt Troncoso. Gleichzeitig stünden immer mehr Leute um Essen an. „Wir schlagen uns derzeit mit Spenden durch“, sagt sie und zeigt auf Nudelpakete: „Die haben wir nach einer Veranstaltung im Stadtzentrum erhalten, bei denen darum gebeten wurde, den Eintritt mit Lebensmitteln zu zahlen.“

Die Regierung rechtfertigt ihren Kurs mit angeblichem Missbrauch der Gelder durch die Organisationen. Gleichzeitig setzte sie schon kurz nach Amtsantritt harte Sparmaßnahmen um. Das Ministerium für soziale Entwicklung wurde mit dem Bildungs-, Kultur und Arbeitsministerium in das neue Ministerium für Humankapital verwandelt. Soziale Unterstützungsleistungen wurden entweder ganz gestrichen oder bei fortwirkender Inflation bei einem Fixbetrag eingefroren.

Der ehemalige Sozialarbeiter Walter di Maria
Der ehemalige Sozialarbeiter Walter di Mariaepd-bild / Malte Seiwerth

„Zu Beginn der Regierung Milei versuchten wir, unsere Arbeit fortzusetzen“, sagt der ehemalige Sozialarbeiter Walter di Maria, „doch es kamen keine neuen Aufträge von oben.“ Gewerkschaften sprechen von mehr als 1.000 Entlassungen allein im ehemaligen Sozialministerium. Gleichzeitig sollen die weiterhin Angestellten ohne Arbeitsauftrag sein. Selbst lebenswichtige Programme wie die Finanzierung von Krebsmedikamenten sind eingestellt.

Regierung verteidigt rigides Vorgehen

Beim jüngsten Generalstreik am 9. Mai protestierten daher auch viele Basisorganisationen zusammen mit Gewerkschaften gegen die Sozialpolitik der Regierung. Darauf folgten die Hausdurchsuchungen in einzelnen Suppenküchen. Es handele sich um eine Hexenjagd aufgrund einzelner Fälle, die nun aber auf eine ganze Bewegung übertragen würden, erklärt Juan Grabois, der Sprecher des „Movimiento de Trabajadores Excluidos“ (Bewegung der ausgeschlossenen Arbeiter), einer weiteren Organisation, die nicht von der Polizeiaktion betroffen war.

Sicherheitsministerin Patricia Bullrich feierte derweil das Vorgehen der Regierung: Man sei daran, Tausende Menschen von der Unterdrückung durch diese „kriminellen Organisationen“ zu befreien, erklärte sie. Ein alternatives Programm zur Ernährung der immer größer werdenden Schicht an Armen hat die Regierung aber bis dato nicht präsentiert.