ARD-Thriller über Korruption im Bundestag verkneift sich das Happy End
Unter dem Allerwelts-Titel “Im Netz der Gier” zeigt die ARD-Degeto einen Fernseh-Thriller, der mit Korruption im Bundestag beginnt und bis zum Schluss funktioniert.
Kaum dass sich eine junge Frau “voll aufgeregt” von ihrem Freund verabschiedet, geschieht ein provozierter Autounfall und es tritt ein Killer in Aktion. 19 Stunden zuvor joggt die Protagonistin Anna Grawe an der blauen Spree im Berliner Regierungsviertel entlang joggt und bekommt einen seltsamen Anruf ihrer Chefin: “Stell bitte keine Fragen”, sagt die Bundestagsabgeordnete Kober und formuliert dann ihren Verdacht, jemand wolle sie “fertigmachen”, womöglich ihre eigenen Parteifreunde.
Was die Anruferin nicht bemerkt, aber das Publikum deutlich ins Bild gerückt bekommt: An der Bar in London, an der die Abgeordnete gerade sitzt, wird sie belauscht. Und kaum dass Anna dann, wie gewünscht, eine Tasche aus Kobers Bundestagsbüro geholt hat und endlich unter der Dusche steht, stehen vor ihrer Wohnungstür Polizisten sowie eine gestrenge Oberstaatsanwältin, deren Brille ihre Strenge ins Unermessliche steigert.
Der ARD-Degeto-Film “Im Netz der Gier” (ab Donnerstag in der Mediathek, am Samstag um 20.15 Uhr linear in der ARD) geizt nicht mit dicht gesetztem Spannungspotenzial. Würden im durchgehenden, latent unheilschwangeren Musikteppich nicht immer wieder Pianoklänge entspannen, wäre man ganz schön beunruhigt.
Bei diesem Neunzigminüter handelt es sich eindeutig um einen Thriller. Genre-Puristen wissen: Thriller sind etwas anderes als Krimis. Sie kennzeichnet vor allem, dass keine hauptberuflichen Ermittler, sondern in ganz anderen Berufen tätige Menschen in Verbrechen und an Verbrecher geraten. Genau das widerfährt hier der Ageordneten-Büroleiterin Anna Grawe. Bemerkenswert abgekämpft und gestresst sieht Schauspielerin Tanja Wedhorn – bekannt vor allem aus Degeto-Schmonzetten wie “Praxis mit Meerblick” – in dieser Rolle aus.
Bessere Beispiele des Thriller-Genres charakterisiert außerdem, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Das geschieht in “Im Netz der Gier” quasi von Anfang an. Denn die Volksvertreterin Kober hat sich offenkundig gründlich korrumpieren lassen, und Anna hat, mindestens bemerkenswert naiv, nicht nur dazu beigetragen, sondern auch davon profitiert.
Erst recht profitiert hat ihre in London studierende, jetzt anreisende Tochter Larissa (Paula Hartmann), die überdies eine Verbindungen mit dem korrumpierenden Oligarchen Igor Parygin (Eugen Knecht) eingegangen war. Und Annas Mutter (Jutta Wachowiak), die an der ostdeutschen Ostseeküste lebt, wohin sich die Handlung des Films allmählich verlagert, umgeben wiederum eigene Geheimnisse. Solch überraschende Wendungen gehören auch zu den wesentlichen Thriller-Elementen, die besser nicht vorab in TV-Kritiken gespoilert, also verraten werden sollten. Zumindest wenn der Film funktioniert. Und das tut “Im Netz der Gier”.
Bildstarke Momente gelingen Regisseurin Schlatterer dabei immer wieder. Und seine bedrohliche Balance hält der Film bis zum im Prinzip glücklichen Ende, das sich zum Glück aber ein allseitiges Wohlfühl-Happyend verkneift.
In seinen langsamen Momenten bietet der Film Gelegenheit, über die Inhalte all der Intrigen und ihre eventuelle Bedeutung zu sinnieren. Im Bundestag gibt es Korruption, die öffentlich nicht auffällt, solange ihre Initiatoren sie nicht auffallen lassen wollten, lautet eine Botschaft.
Als Ausgangspunkt der Korruption fungieren ein “russisch-kasachischer Oligarch”, heißt es in der Filminhaltsangabe, und Kasachstan selbst. Über den echten postsowjetischen Staat erfährt man allerdings kaum etwas. Regelmäßig tauchen im Film indes Anklänge an Russen oder Klischees von ihnen auf. Mit gut erkennbarem russischem Akzent sprechen sie perfekt deutsch, haben stets Geldscheinbündel bei sich, und die Frauen tragen echten Pelz.
Von dem, was die Schurken des Thrillers im Schilde führen, erfährt man dann auch nicht viel. Ob also das Motiv vom bösen Russen nun wieder in Mode kommt – wofür es ja Gründe gäbe – ließe sich auch noch überlegen. So wirkt die von diesem gut funktionierenden Fernseh-Thriller ausgemalte Bedrohlichkeit sogar einmal über den Film hinaus.