Ein Dokumentarfilm fragt anlässlich von Loriots 100. Geburtstag: Wie funktioniert dessen Humor, was macht ihn so erfolgreich? Eine Collage aus vielen bekannten wie unbekannten Stimmen findet interessante Antworten.
“Früher war mehr Lametta!” Das unsterbliche Opa-Hoppenstedt-Zitat stimmt zumindest in Bezug auf diese Loriot gewidmete Jubiläums-Hommage nicht: Unzählige glitzernde Kränze werden dem großen deutschen Humoristen hier gewunden, von zahllosen bekannten bis mittelbekannten Menschen: Kollegen, Autorinnen, Verlegern, Literaturwissenschaftlerinnen, Filmproduzenten, Schauspielerinnen, Regisseuren und Podcasterinnen.
Und doch wirkt “Loriot100”, den das Erste am 6. November von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, bei aller vielfach vorgetragenen Verehrung keineswegs oberflächlich, auch nicht unkritisch. Anlass für den Film ist der 100. Geburtstag des Komikers: Am 12. November 2023 wäre der 2011 verstorbene Vicco von Bülow – Loriot war sein Künstlername – ein Jahrhundert alt geworden.
Tatsächlich scheint der Karikaturist, Schauspieler und Filmemacher von so ziemlich jedem und jeder, den oder die man fragt, geliebt, bewundert oder zumindest sehr wohlwollend beäugt zu werden. Andre Schäfer, der Regisseur von “Loriot100”, hat an die zwei Dutzend Menschen befragt, unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Berufs.
Die lautesten Ovationen kommen dabei – das fällt schon auf – eher von älteren Herren derselben Branche, dem Karikaturisten Gerhard Haderer, dem Allrounder Helge Schneider, dem Komiker Hape Kerkeling – aber auch der Kinderdarstellerin Katja Bogdanski, die einst “Dickie” gab, das geschlechtslose Kind der Familie Hoppenstedt. Doch selbst die relativ junge Satirikerin Sarah Bosetti “mag” Loriot – auch wenn sie sich zugleich ein wenig darüber “wundert”.
Dass Loriots Witz der Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft und deren Humorverständnis entscheidend auf die Sprünge geholfen hat, darüber herrscht hier Konsens. Die Bedeutung der Karikaturen und Sketche, die ein satirisches Abbild jener satten, bigotten, auf die unbedingte Aufrechterhaltung ihrer Fassade konzentrierten Gesellschaft zeigten, könne kaum hoch genug eingeschätzt werden. “So sind wir!” – diese Erkenntnis und Identifikation beim Zuschauenden, so heißt es in der Doku, sei wesentlich für Loriots Erfolg.
Der gelernte Zeichner hatte einen “preußisch-scharfen Blick”, fing die bundesrepublikanische Atmosphäre der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein und spießte Klischees des westdeutschen Spießbürgers in Verhalten und Sprache auf. Allerdings mit großer Selbstironie, ohne erhobenen Zeigefinger und stets als einer, dem selbst nichts Menschliches fremd war.
“Auslegeware”, “Sitzgruppe” und andere Schöpfungen der deutschen Sprache führen dazu, dass, wie hier ebenfalls erörtert wird, Loriots Humor ganz und gar unübersetzbar ist. Weitere zentrale Themenfelder sind die Musikalität des Multimediakünstlers, die wiederum eng verknüpft ist mit dessen Gespür für Timing, Loriots politische Dimension und sein Frauenbild – meist verkörpert von der nicht minder unsterblichen, äußerst präzise aufspielenden Evelyn Hamann.
Dazu gesellt sich immer wieder die Erkenntnis von der oft erstaunlichen Modernität des aus altem mecklenburgischen Adelsgeschlecht stammenden Humoristen (freilich ohne dass der Film diesen zu einem progressiven Vorreiter stilisieren würde). Um den Menschen Loriot geht es auch, allerdings eher am Rande: Ausgesucht höflich und freundlich sei er gewesen, berichten die, die ihn persönlich erlebt haben – bei der Arbeit aber auch extrem perfektionistisch.
“Loriot100” ist eine vielfache Verneigung, aber eine, die auch Erkenntnis und Analyse mit sich bringt. Wirkt das Stilprinzip der zahllosen Stimmen und kurzen Filmschnipsel zu Beginn noch ein wenig wahllos, sortieren sich die vielen Perspektiven mit Fortschreiten der Doku zu einer anregenden Collage, geschickt verwoben mit herrlichen Ausschnitten aus Loriots reichem Oeuvre. Insofern ist dieser Film tatsächlich so, wie ein guter Geburtstagsgruß sein sollte: Zugewandt, wohlwollend, inspirierend und dazu schön anzusehen – aber nicht vor lauter Zuckerguss zu einem faden Einheitsbrei verklebt.