Im ewigen Eis: Antarktis-Tourismus lockt solvente Abenteurer

Kritiker halten es für umweltschädlich, doch für viele Abenteurer ist es ein langgehegter Traum: Antarktis-Expeditionen werden immer populärer. Einige sehen im ewigen Eis gar die Magie der Schöpfung.

Die Begegnung mit den jahrtausendealten Gletschern ist besonders beeindruckend
Die Begegnung mit den jahrtausendealten Gletschern ist besonders beeindruckendImago / imagebroker

Dolmetscherin Margit Schuck aus Deutschland war schon zweimal in der Antarktis: „Die Begegnung mit dieser Naturmacht, diese Unberührtheit macht mich sehr demütig und dankbar“, erzählt sie. Nun bricht die abenteuerlustige Frau zur Jahreswende 2023/24 erneut mit der Crew des touristischen Expeditionsschiffs „MS Roald Amundsen“ auf – von Ushuaia im argentinischen Feuerland aus.

Nach fast drei Tagen Fahrt durch die Drake-Passage liegt die wundersame Eislandschaft plötzlich wie ein Neujahrsgeschenk vor ihr und den rund 400 anderen Mitreisenden. Patriotische Chinesen mit Profi-Polarforscher-Ausrüstung holen ihre Flagge heraus und lassen sich auf dem Oberdeck mit den Gletschern im Hintergrund ablichten.

Die Antarktis umfasst eine Fläche von ungefähr 14 Millionen Quadratkilometern, wovon weniger als 1 Prozent eisfreie Gebiete sind
Die Antarktis umfasst eine Fläche von ungefähr 14 Millionen Quadratkilometern, wovon weniger als 1 Prozent eisfreie Gebiete sindImago / imagebroker

Das zügellose Fotografieren inmitten einer so imposanten Landschaft stört einige Gäste. Auch Juliane Bortfeldt. „Ich finde es unwürdig, auf alles die Kamera draufzuhalten und diese besondere Energie nicht einfach wirken zu lassen“, kritisiert die deutsche Ärztin. Sie weiß genau, was sie im ewigen Eis vor sich hat: Die Antarktis umfasst eine Fläche von ungefähr 14 Millionen Quadratkilometern, wovon weniger als 1 Prozent eisfreie Gebiete sind.

Im Polarsommer leben hier 4.000 Forscher, im Winter nur 1.000. Zu allen Jahreszeiten bleibt es der kälteste, trockenste und windigste Kontinent. Das macht die Reise speziell für Gebrechliche und Betagte zu einer Strapaze. Dennoch sind einige davon an Bord. Mit einer gewöhnlichen Kreuzfahrt ist die Antarktis-Expedition indes nicht zu vergleichen.

„Wenn ich hier bin, dann fühle ich mich der geistigen Welt besonders verbunden.“

Auf der Fahrt entlang der nordwestlichen Halbinsel der Antarktis, wo die „MS Roald Amundsen“ unterwegs ist, wird es nie dunkel. Die Temperaturen bewegen sich um die 0 Grad Celsius, das Salzwasser gefriert, was Ausflüge erschwert. Bisweilen kommen Schneefall und scharfer Wind hinzu. Für Schuck, die wie alle bei den Exkursionen mit anpacken muss, ist der Blick auf den weißen Kontinent, der eineinhalbmal so groß ist wie Europa, dennoch magisch: „Wenn ich hier bin, dann fühle ich mich der geistigen Welt besonders verbunden.“

Eselspinguine im Neko Harbour, Andvord Bay, Antarktis
Eselspinguine im Neko Harbour, Andvord Bay, AntarktisImago / imagebroker

Für die Philippinerin Gina Morena, die auf dem Schiff einen Massagesalon betreibt, ist die Begegnung mit den jahrtausendealten Gletschern besonders beeindruckend, weil es in ihrem Land keinen Schnee gibt. „Es ist unglaublich, wie Gott so viel Eis schaffen konnte“, sagt sie und staunt. Der deutsche Tierforscher Fritz Jantschke, der die Fahrt für wissenschaftliche Arbeiten nutzt, glaubt jedoch, dass all dieses Eis in ein paar Jahrhunderten nicht mehr zu sehen sein wird: „Am Nordpol wird es noch viel schneller gehen.“ Nicht zuletzt deshalb will der Senior das Naturwunder bis zum Ende seiner Tage so oft wie möglich erleben. Schon 35 Mal war er am Südpol.

Touristische Expeditionsreisen: ein guter Appell an das Naturbewusstsein

Jantschke meint, dass die durchaus umstrittenen touristischen Expeditionsreisen in wenig bereiste Gebiete wichtig sind für den Erhalt bestimmter Tierarten und ihrer Umgebung. „Wenn der Mensch nicht vor Augen hat, was er verlieren kann, dann kämpft er nicht darum“, sagt der 82-Jährige, der die anderen Gäste mit seiner Fitness beeindruckt. Tierfilme, von denen er viele gedreht habe, seien ebenfalls ein guter Appell an das Naturbewusstsein. Aber die echte Begegnung mit Zügelpinguinen, Buckelwalen, verschiedenen Seevögeln und Robben sei noch einmal etwas anderes.

Nach starkem Seegang in der Drake-Passage, wo drei Meere in wilden Strömungen unter starken Winden zusammentreffen, erwartet die Passagiere aus aller Welt Windstille und blauer Himmel. Mit dem Zodiac-Beiboot durch die Schollen zu fahren und einzutauchen in eine fast unwirkliche Eiswelt – das lässt mehrere Teilnehmer an eine göttliche Schöpferkraft denken. Auch solche, die eigentlich gar nicht spirituell oder religiös interessiert sind. Für die meisten ist die teure Reise allerdings nur ein Punkt auf einer umfangreichen „Bucket List“, also ein Ziel von vielen, das es schlicht abzuhaken gilt.

Schiff Kong Harald der Reederei Hurtigruten ASA im Storfjord bei Stranda, Norwegen
Schiff Kong Harald der Reederei Hurtigruten ASA im Storfjord bei Stranda, NorwegenImago / CHROMORANGE

Die norwegische Reederei Hurtigruten hofft, dass sie dennoch etwas mitnehmen und anderen berichten. Das Unternehmen lebt von der Reise- und Unternehmungslust seiner Kunden. Aus Umweltschutzgründen unterhält Hurtigruten Stiftungen zum Erhalt der Natur in den angesteuerten Gebieten. Zudem werden unter den Passagieren Spenden gesammelt.

In den vergangenen Jahren hat sich die Reederei weltweit einen Namen gemacht mit touristischen Expeditionen nach Alaska, Grönland, zu den Galapagosinseln oder eben in die Antarktis. Seit Ende der Corona-Pandemie ist die Nachfrage in der Branche wieder groß. Auf Nachhaltigkeit wird dabei immer mehr Wert gelegt. So soll demnächst ein erstes emissionsfreies Küstenschiff in Betrieb genommen werden. Wie das genau funktionieren soll, ist noch unklar. Die „MS Roald Amundsen“ fährt schon im Hybridmodus, aber die Elektromotoren werden nicht aus erneuerbaren Energien gespeist, wie Kritiker bemängeln.

Für den an Bord arbeitenden schwedischen Gletscher-Spezialisten Erik Schytt Mannerfelt gleicht die Antarktis-Fahrt derweil einer Zeitreise. „Es macht einen sehr ehrfürchtig zu sehen, welche Gewalt die Natur hat und wie sie sich anpasst und entwickelt mit dem Klimawandel“, sagt der Wissenschaftler.

Teures Vergnügen: 10.000 Euro kostet die Teilnahme pro Person

Diese eindrucksvolle Erfahrung hat ihren Preis. Um die 10.000 Euro kostet die Teilnahme pro Person – je nach Kabinen-Kategorie. Im Preis enthalten sind umfassende Sicherheitsvorkehrungen, damit alle Reisenden am Ende wohlbehalten nach Hause zurückkehren. Der chinesisch-amerikanische Leiter Yibo Li betont: „Wir tun im Notfall alles, um ein Leben zu retten.“

Unterdessen ist eine Gäste-Gruppe vor allem darauf bedacht, auf der Plattform Tiktok einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen: Beim Anlanden auf einer schneebedeckten Vulkaninsel tauchen sie in das eiskalte Wasser ein und lassen sich dabei ausgiebig filmen. Den Tierexperten Jantschke stört das nicht: „Letztlich ist es ja gut, dass so viele Bilder wie möglich von der Antarktis im Umlauf sind.“