Anknüpfen, wo immer es geht

13. Sonntag nach Trinitatis, Gottesdienst zur Verabschiedung von Propst Dr. Horst Gorski, Predigt zu Lukas 2, 28: „Du wirst mich erfüllen mit Freude vor deinem Angesicht“

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt.
Amen

Liebe Festgemeinde, lieber Propst Dr. Gorski, lieber Horst!
Freude und Wonne werden sie ergreifen… Dieses so schöne horizontale Prophetenwort trifft mich zielgenau in meine Eingeweide: Ich freue mich so für dich! War es doch dein Herzenswunsch, Theologie zu treiben, möglichst morgens, mittags, abends! Ich weiß, dass auch viele andere dir ihre Freude ausgedrückt haben, seitdem es heraus war im Mai und man sich zuraunte: „Hast du schon gehört? Horst geht nach Hannover."
Wir alle freuen uns für dich. Für dich. Vielleicht auch ein bisschen für die VELKD und EKD – man muss ja gönnen können. Aber nicht so sehr für uns. Für uns ist’s – es sei an dieser Stelle angemessener Jammer erlaubt – traurig. Schade. Es hätte gern noch 16 Jahre (nun gut: bleiben wir ehrlich: einige Jahre) so weiter gehen können. Denn es ist eine gute Zeit gewesen mit dir als Propst, zunächst in Altona, dann mit Blankenese dazu. Segensreich ist’s gewesen. Reich an Gelungenem. Und reich an Arbeit – an Aufgaben, Gremien, Fusionsverhandlungen über Jahre hin, an Problemen, Lösungen von Problemen, Dilemmata wurden auch gern genommen. Es ist aber vor allem, sagst du, reich gewesen an Begegnung und Freundschaft. Viele gute Beziehungen sind entstanden; nicht umsonst schwitzen wir heute in dieser Kirche dicht an dicht – willkommen Ihnen allen!
Und diese Beziehungen bedeuten dir viel, und du bedeutest uns viel. Denn es sind Beziehungen, die halten, herausfordern, manchmal auch viel aushalten. Sogar Streit. Denn das ist ja wirklich eine besondere Gabe von dir, lieber Horst: Immer wieder anzuknüpfen. Früher oder später. Den Knoten zu lösen (oder einfach mal den Knoten zu lassen wie er ist). Beziehungen knüpfen, halten, ja genießen – das ist im Miteinander und im Segen in all den Jahren so vielfältig gelungen: im brüderlichen Pröpsteteam, in deinem Konvent und mit den Mitarbeitenden in Verwaltung und Diensten, in Ökumene und theologischen Kammern, in denen sich Horizonte öffneten. Und Beziehungen manchmal auch hoffnungsträumend über landeskirchliche, ja sogar über Gemeinde(!) -grenzen hinweg. Anknüpfung, das ist dein Programm. Anknüpfen, wo immer es geht – von oben nach unten, horizontal und vertikal, von Osten nach Westen, an die Fragenden, die Verärgerten, die theologisch anders Positionierten. So verstehst du dein Amt und lebst es, eben buchstäblich als Amt, das die Versöhnung nicht nur predigt.
Anknüpfen, das liebst du. Auch, geben wir’s zu, weil du so hinreißend neugierig bist aufs Leben. Auf das, was hinter den Dingen ist. Rauf aufs Fahrrad und los – sollte es tatsächlich Wege geben, die unerforschlich sind?!
„Du, Gott, hast mir kundgetan die Wege des Lebens", predigt Petrus in seiner Pfingstpredigt in der Apostelgeschichte. „Du wirst mich erfüllen mit Freude vor deinem Angesicht."
Es ist mein Bibelwort heute für dich. Ein Wort mit glücklicher Aussicht. Für uns alle. Und es ist ein Wort mit glücklicher Einsicht: Denn deine Freude an neuen Wegen und die Begeisterung für theologische Arbeit, das ist es, womit du auch uns angesteckt hast! Originell. Gewitzt. Theologisch brillant. Mutig, wie wir wissen. Undeutlichkeit kann man dir nun wirklich nicht vorwerfen…
So wie wir es eben erlebt haben: Du predigst geradeheraus. Geradewegs in die eigenen, manchmal verwirrenden und widersprüchlichen Wünsche und Gedanken hinein. Und so entstehen immer wieder Dialoge mit besonderem Tiefgang. So auch vor etwa einem Jahr: Wenn ich zitieren darf, liebe Gemeinde, Sie kennen vermutlich alle den Horst-Gorski–Sabbatical Blog. Da schreibt er: Ein Mann, der von sich sagt er sei Atheist, umarmt mich heute nach dem Gottesdienst: „Wie haben Sie es geschafft, dass Sie genau das ausgedrückt haben, was ich glaube?" Hm, (sinniert Horst), das weiß ich auch nicht. Muss ich mir nun Gedanken über den christlichen Gehalt meiner Predigt machen? Oder ist einfach der Atheismus auch nicht mehr das, was er mal war?"
Soweit das Zitat. Und ich lese das höchst vergnügt, ist es doch befreiend, mit Horst Gorski auszusteigen aus der selbstbespiegelnden Mangelanalyse. Nichts macht bekanntlich weniger Freude. Aber das andere: Diese deine Lust, andersherum zu denken. Den oft allzu glatten Formeln das Eigentliche zu entlocken. Es zu erlösen und heraus zu lieben. So dass für die, die dir zuhören, auf einmal Gott selbst tief wird und weit und hoch –  aber nicht zu hoch. Sondern so gnädig in seiner Gegenwart.
Du wirst mich erfüllen mit Freude vor deinem Angesicht, sekundiert Petrus. Er ist auch einer, der geradheraus die Zuversicht liebt. Und das in einer Zeit, die so viele Tränen kennt und Schmerzen und Furchtbarkeiten. In der sie zu Hunderten ertrinken in verlorener Hoffnung. In der Menschen buchstäblich ersticken an grausamer Gefühllosigkeit. Wir brauchten damals und wir brauchen heute mehr denn je Menschen, die den Mut haben, die andere Wirklichkeit zu glauben und zu leben. Und die das prophetische Wort zu glauben verstehen. Die deshalb mit anderen die Wege des Lebens gehen, als treue Begleiter, aber auch geistlich Leitende, lieber Horst, die Antworten wagen. Die durchbuchstabieren, was es heißt in dieser Zeit, Gerechtigkeit zu üben und Demut, die nicht müde werden, verstehen zu wollen und zugleich bekennen, wo sie widerstehen. Menschen die sich in aller Ehrlichkeit zeigen können, ohne sich wichtig zu tun. Ergo, lieber Horst: Du wirst auch am zukünftigen Ort so richtig sein!
Bleibt mir nun, dir von Herzen zu danken. Du hast so viel bewegt und bewirkt im Kirchenkreis. Und in der Nordkirche. Mit Erbarmen und mit Barmen. Fusionsgeduldig wirst du vieles auch in der VELKD und EKD bewegen. Die können sich freuen! Übermorgen. Heute sind wir noch einmal wir dran – all die Weggefährtinnen, Freunde, Kolleginnen, Mitarbeitenden, nicht zu vergessen Frau Engel, die ja dankenswerterweise enorm die Geheimhaltungsstufe ROT durchgehalten hat in den letzten Wochen…
Wir danken Gott für dich. Und bitten ihn, er möge dir diese Kraft erhalten und deine Wortkunst, deine Lebensfreude, Klugheit und deinen Humor.
Das Leben ist ein Weg nach Hause, hast du eben gepredigt. Und wir erleben gerad jetzt bei dir, wie du trotz der Träne im Knopfloch mit so einer Freude aufbrichst in eine neue Welt. Und vielleicht, lieber Horst, ist es ja ein- und derselbe Weg?
Denn Gott hat dir kundgetan die Wege des Lebens. "Er wird dich erfüllen mit Freude vor seinem Angesicht." Bleib behütet und froh, lieber Horst. Gottes Friede sei mit dir.
Amen.