Angela Merici – Eine Frau, die Schule machte

Ehefrau, Klosterfrau oder Magd? Um das Jahr 1500 sind dies die wesentlichen Lebensformen für Frauen. Manche jedoch leben anders. Angela Merici, Bauerntochter vom Gardasee, wurde zur Pionierin der Mädchenbildung.

Kirchliche Reformbewegungen gibt es Anfang des 16. Jahrhunderts viele – nicht nur mit Martin Luther in Deutschland. Auch in Norditalien, wo eine bildungshungrige Bauerntochter Mitstreiterinnen um sich schart. Angela Merici schwebt eine weniger gebundene Form frommen Lebens vor, als es damals in vielen Klöstern herrschte. Gelübde, aber kein Ordensgewand, eine Gemeinschaft, doch ohne gemeinsames Klostergebäude.

Vielen Zeitgenossen war das zu neu, zu gewagt, zu ungeordnet. Andere sahen darin einen Ausdruck des damals weit verbreiteten Bedürfnisses, die christliche Botschaft überzeugender zu leben und gesellschaftlichen Problemen besser zu begegnen. Diese Auseinandersetzungen werden den von Merici gegründeten Orden – die Ursulinen – rund 200 Jahre lang begleiten.

Geboren wird Angela Merici am 21. März 1474 am Südufer des Gardasees. Ihr Vater ist kleinadliger Landwirt, ihre Mutter Tochter aus bürgerlichem Haus am Ostufer des Sees. Damit führt Angela zunächst das einfache Leben von Bauern. Als ihre Eltern sterben, holt ein Onkel sie in das Haus seiner Familie.

Dort lernt die etwa Zehnjährige das aufkeimende Bildungsinteresse bürgerlicher Kreise kennen. Es heißt, Angela habe sich das Lesen selbst beigebracht – mit der Bibel und den Schriften antiker Theologen. Bald darauf tritt sie dem sogenannten dritten Orden des Franz von Assisi bei. Zu dessen Lebensform gehören reges Gebetsleben und praktische Nächstenliebe, aber kein Kloster.

Als 20-Jährige kehrt Merici in das von ihr geerbte Elternhaus zurück. Sie lebt von Feldarbeit und ist zugleich als „Schwester Angela“ gefragte Ratgeberin. 1516 wird die gut 40-Jährige von ihrer Gemeinschaft in das vom Krieg zerstörte Brescia geschickt. Dort begegnet sie großer Not, sieht aber auch, wie sich fromme Menschen für Notleidende engagieren. Ab 1531 entsteht um sie selbst herum eine Gruppe junger Frauen und Männer, die angetan sind von Mericis spiritueller Kraft und schlichtem Lebensstil.

Im November 1535 schließen Merici und 28 weitere Frauen sich zu einer Gemeinschaft zusammen. Ein gutes Jahr, nachdem Ignatius von Loyola in Paris die „Gesellschaft Jesu“ (Jesuiten) gegründet hatte, nennen die Frauen in Brescia sich „Compagnia di Sant’Orsola“ (Gesellschaft der heiligen Ursula). Ihre Patronin ist Ursula von Köln, Schutzheilige der Jugend und Lehrer.

Die „Gesellschaft der heiligen Ursula“ ist etwas Neues. Ihre Mitglieder behalten bisherige Lebensbeziehungen bei, wohnen in ihrem Haus oder am Arbeitsplatz und tragen keine Ordenstracht. Wie Ordensleute hat auch diese Gemeinschaft eine eigene Regel; die Leitung liegt aber allein in den Händen von Frauen. Die von Merici als anpassungsfähig und offen konzipierte Einrichtung sollte es Frauen erleichtern, ein eigenes eheloses Leben zu führen, solidarisch und sozial abgesichert. Bald kommt eine wesentliche Aufgabe hinzu.

In normaler Alltagskleidung durchstreifen Merici und ihre Gefährtinnen die Straßen der Stadt. Sie finden Mädchen, die zu verwahrlosen drohen, und bieten ihnen Erziehung und Ausbildung an. Den klassischen Gelübden von Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam fügen die Frauen ein viertes hinzu: Kinder zu unterrichten. Dieses Sondergelübde wird Papst Paul V. 1612 offiziell genehmigen.

Das Engagement der Ursulinen macht im wahrsten Sinne des Wortes Schule. So sehr, dass Historiker später einmal die Arbeit dieser Frauen als „Anfang der gesamten neuzeitlichen Mädchenerziehung“ bewerten. Von Brescia aus breitet sich die Gemeinschaft in Norditalien und über die Alpen nach Südfrankreich aus.

1639 gründen Ursulinen in Köln die erste Niederlassung in Deutschland. Im nahen Bad Münstereifel übernehmen sie ein 1594 von der Bürgerin Margaretha Lynnerie gestiftetes Institut für Mädchenerziehung, das Erzbischöfliche St.-Angela-Gymnasium. Auch in Trier, Bornheim-Hersel, Osnabrück und Wipperfürth werden Angela-Schulen gegründet.

Die Gemeinschaft verbreitet sich weiter nach Nordamerika, ins südliche Afrika, nach Indien und Südostasien. Überall bauen sie Schulen auf und stellen mit ihrer Arbeit die heute weltweit anerkannte These unter Beweis: Bildung von Mädchen und Frauen ist einer der besten Schlüssel für Entwicklung und Frieden.