Anfrage an Freiheit und Würde des Menschen

Ethische Herausforderungen und Risiken durch die Gentechnik und neue Entwicklungen, bei der Informations- und Biotechnologie miteinander verschmelzen, erörterten Experten aus aller Welt bei einer Jahrestagung

Berlin – Werden wir in wenigen Jahrzehnten von Computern und Algorithmen beherrscht? Wird es durch die Verschmelzung von Informations- und Biotechnologie der Wissenschaft möglich, den Menschen zu „hacken“? Ein solches Zukunftsszenario entwarf der israelische Bestsellerautor und Historiker Yuval Noah Harari zum Auftakt der zweitägigen Jahrestagung des Deutschen Ethikrates in Berlin.
Zum zehnjährigen Bestehen des Gremiums trafen sich Expertinnen und Experten aus aller Welt, um über das Thema „Des Menschen Würde in unserer Hand – Herausforderungen durch neue Technologien“ zu diskutieren. In der Vision Hararis werden diese nicht nur unser Verständnis vom Menschsein unterminieren, sondern auch die Grundlage humanistischer Ethik zerstören.
Hararis Ausführungen dienten als provokanter Auftakt, um die Dimension der Herausforderung zu skizzieren. Seine Thesen basierten jedoch auf einer einseitigen biologistischen Sicht, die der Ethikrat in seinen bislang 14 umfangreichen Stellungnahmen – von der Präimplantationsdia­gnostik bis zu Big Data – vermieden hat. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble setzte sich in seiner Würdigung des Gremiums von einem biologischen Determinismus ab – für den es „keinen freien Willen oder geistige Einsichten“ gibt, wie es Harari formulierte, und für den alles Handeln auf berechenbare „biochemische Algorithmen“ zurückgeführt werden kann.
Dass die technologischen Entwicklungen durchaus das Potenzial haben, „unser Verständnis vom Menschen grundlegend zu verändern“, stellte auch der Ethikrat-Vorsitzende, der evangelische Theologe Peter Dabrock, nicht in Abrede. Im Gegenteil: Die Eingriffe in das Gehirn mit Verfahren wie der tiefen Hirnstimulation, Eingriffe in das menschliche Erbgut mittels Genome-Editing und Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz stellten die Menschheit vor neue Herausforderungen. Dabei müssten die Würde und Freiheit des Menschen vor Manipulation, Instrumentalisierung, ja Wesensveränderungen geschützt werden. Schäuble betonte die Verantwortung des Menschen, in Freiheit und Vernunft die eigene Zukunft nach ethischen Grundsätzen zu gestalten. Gerade darin sah er die Begründung für die Einsetzung eines Ethikrates. „Für uns steht die Menschenwürde über allem.“
Durchaus kontrovers wurde diskutiert, wie diese Würde zu verstehen ist und wie weit das Konzept trägt. Die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann führte Chancen und Grenzen der einzelnen Konzepte aus, etwa der „Menschenwürde als Instrumentalisierungsverbot“ nach Immanuel Kant oder als „Ethik des Selbst-sein-Könnens“.
Für die Professorin für theologische Ethik von der Loyola-University Chicago, Hille Haker, gehört die Würde zum Wesen des Menschen, die sich lebensgeschichtlich und in der historischen Erfahrung vermittelt.
Die möglichen Auswirkungen der biologischen Technologie wie der Informationstechnologien haben stets globale Dimension, wie die Wissenschafts-Expertin Sheila Jasanoff von der Harvard-John F. Kennedy School of Government verdeutlichte. Das gilt zumal für unumkehrbare Eingriffe in das Erbgut durch das Genome-Editing. Deshalb forderte sie eine globale Institution in Ergänzung zu den bislang gut 100 nationalen Einrichtungen.
Der Biochemiker Kevin M. Esvelt aus Harvard warnte davor, dass die Risiken und möglichen Fehlentwicklungen der Gentechnik – vom Designerbaby bis zur genetischen Optimierung – noch lange nicht ausreichend kontrolliert seien. Wie viele andere Rednerinnen und Redner verlangte er eine breite gesellschaftliche Debatte um die Kernfrage: Welchem Verständnis vom Menschen wollen wir folgen?
Das Thema der Jahrestagung war dem Schillergedicht „Die Künstler“ entlehnt: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, bewahret sie!“, heißt es dort. Eine Verpflichtung und Verantwortung zugleich, wie Dabrock sagte. Die Freiheit des Menschen umfasst eben auch die Möglichkeit, sich selbst zu instrumentalisieren – eine Fähigkeit, die durch moderne Technologien eine dramatische Zuspitzung erfährt, wie die Tagung deutlich machte.