Als Ukrainische Organistin in Deutschland

Die Ukrainerin Julia Landau verlor beinahe ihren Glauben. Jetzt studiert die Organistin, ist dankbar für alle Unterstützung und hat ihr Vertrauen zurückgewonnen. Davon erzählt sie im Interview.

Julia Landau (44) flüchtete aus der Stadt Slawutytsch, nahe Tschernobyl in der Ukraine, nach Berlin. Hier absolvierte sie eine Prüfung, um ihr Lieblings­­instrument studieren zu können: die Orgel.
Julia Landau (44) flüchtete aus der Stadt Slawutytsch, nahe Tschernobyl in der Ukraine, nach Berlin. Hier absolvierte sie eine Prüfung, um ihr Lieblings­­instrument studieren zu können: die Orgel.

Frau Landau, Wie hat sich Ihr Leben und das Ihrer Familie seit dem 24. Februar 2022, dem russischen Angriff auf Ihr Heimatland Ukraine verändert?
Julia Landau: Der Krieg hat mein Leben und das meiner Familie vollständig verändert. Wir hatten in dieser schrecklichen Situation noch Glück und blieben alle unverletzt. Aber der Krieg hat uns für lange Zeit voneinander getrennt. Meine Kinder leben jetzt bei ihrem Vater in den USA, meine Eltern sind in der Ukraine geblieben. Alles was wir jetzt tun können, ist uns per Internet zu unterhalten.

Der Krieg hat nicht nur unser Leben verändert, sondern vor allem unsere Seelen und unser ganzes Weltbild. In diesem Sinn ist es unmöglich, in die Vergangenheit zurückzukehren. Ich habe ge­sehen, wie schnell alles zerstört werden kann, was Menschen ­jahrelang aufgebaut haben und wie zerbrechlich das Leben ist. Ich habe auch gesehen, welche schlimmen sinnlosen Taten Menschen verüben können, während andere zur Liebe, Aufopferung und Herzensgüte fähig sind.

Wie ist das für Sie, hier in Sicherheit zu sein, aber zu wissen, dass viele Menschen in der Ukraine der Kriegsgefahr ausgesetzt sind?
Seit 11 Monaten bin ich in Deutschland. In dieser Zeit habe ich viel nachgedacht und war hin- und hergerissen. Einerseits ist es schön, mich in Sicherheit zu wissen, andererseits fühlt ich mich schuldig, weil ich meine ­Eltern und meine Heimat verlassen habe. Ich weiß immer noch nicht, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Es war sehr gefährlich, während des Krieges aus meiner Stadt Slawutytsch zu flüchten. Aber das zu riskieren war ich bereit, um wieder in Freiheit und Sicherheit zu leben. Meine Eltern wollten bleiben. Mit dieser Entscheidung und mit dem Schuldgefühl muss ich täglich leben.

Hilft Ihnen Ihr Glaube in dieser schweren Zeit?
Wenn man ­etwas Schlimmes ­erlebt, versteht man nicht, warum Gott so etwas zulässt. Schlechte Leute bleiben am Leben und tun weiter Böses, während gute Menschen leiden und sterben. Über diese Ungerechtigkeit verliert man entweder den Glauben oder das Vertrauen auf Gott, dass Er für uns sorgt und uns liebt. Und dann passiert das Schwerste: Man verliert die Hoffnung und bleibt einsam in der geistigen Dunkelheit ohne zu wissen, wie man überhaupt weiter­leben und wo man die Kraft zu leben finden kann. Ich habe das alles erlebt: Mein Lebenwurde gerettet, und ich war in Sicherheit, aber ich wollte nicht mehr leben. Der Verlust des Vertrauens zu Gott und seiner Liebe war schwer zu ertragen. Ich habe versucht, diese Gefühle zu bewäl­tigen und Gottes Liebe überall zu suchen – in verschiedenen Situationen und bei Menschen, die mir und einander geholfen haben. Ich habe mit mir selber für meinen Glauben gekämpft und versucht, dem Hass nicht zu erlauben, in ­meiner Seele zu bleiben.

Sind Sie hier dennoch gut angekommen und wer unterstützt Sie?
Als ich aus der Ukraine wegging, lud mich eine Freundin in Berlin zu sich ein. Bei ihr lebte ich in den ersten zwei Monaten. Ich bin Organistin von Beruf, des­wegen habe ich sofort eine Orgel zum Üben gesucht. So habe ich die evangelische Kirche und viele gute und freundliche Menschen kennengelernt. Vor allem die Apostel-Paulus-Gemeinde in Berlin-Schöneberg hat mich unterstützt. Sie half mir nicht nur mit alltäglichen Dingen, sie heilte auch meine Seele. Dann erfuhr ich, dass es für Ukrainer möglich ist, als Gasthörerin an einer Hochschule zu ­studieren. So habe ich angefangen, Orgel in der Universität der Künste (UdK) zu studieren. Im Januar bestand ich die Aufnahmeprüfung. Jetzt bin ich Studentin der UdK. Es ist eine große Freude für mich, dass ich mich jetzt in meinem Lieblingsberuf weiter entwickeln kann. Ich bin Gott und allen Menschen, die mir dabei geholfen haben, sehr dankbar.

Vor welchen Schwierigkeiten ­stehen Sie hier, in einem für Sie noch fremden Land?
Als ich nach Deutschland kam, hatte ich Angst, dass ich das Leben in einem neuen Land nicht schaffen würde. Aber mich haben sehr viele Menschen unterstützt und ich fühle mich hier sehr gut und geborgen. Es war nicht einfach, die Sprache zu lernen. Auch für die Aufnahme­prüfungen musste ich wirklich Tag und Nacht lernen. Aber ich bin froh, dass ich das alles machen konnte und es geschafft habe.

Was wünschen Sie sich für Ihre Heimat und Ihre Familie?
Ich wünsche mir, meiner Familie und allen Ukrainern, dass unsere Heimat diesen schrecklichen Krieg gewinnt. Und dass sie von Russland und von der dunklen sowjetischen Vergangenheit wieder unabhängig sein wird. Ich wünsche der Ukraine Frieden, Sicherheit, Entwicklung und ich hoffe, dass die Ukraine nach dem Krieg Teil der europäischen Gesellschaft sein wird.