Afghanistan steuert auf Katastrophen zu – Helfer warnen
Seit die Taliban 2021 in kürzester Zeit wieder die Macht in Afghanistan übernommen haben, scheinen sich die Augen der Weltöffentlichkeit vom Hindukusch abgewandt zu haben. Dabei hätte das Land Hilfe nötiger denn je.
Einen Monat nach den schweren Erdbeben in Afghanistan fürchten Hilfsorganisationen einen vollständigen Zusammenbruch des Landes. Die UN sprechen von einer „beispiellosen Krise, das katholische Hilfswerk Misereor mahnt, Afghanistan nicht aus dem Blick zu verlieren. Erschwerend wirkt sich zudem die Ausweisung von Hundertausenden afghanischer Flüchtlinge aus Pakistan seit Anfang des Monats aus.
Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 hätten Hunger sowie die Unterdrückung von Frauen wieder stark zugenommen, erklärte das UN-Büro zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) am Samstag. Das Land sei Naturkatastrophen wie den jüngsten Erdbeben fast schutzlos ausgeliefert. Vor dem anstehenden Winter müssten weiterhin viele Menschen in Zelten leben, ohne Schutz vor Kälte und Zugang zu sauberem Trinkwasser.
„Afghanistan steht vor einer beispiellosen humanitären Krise. Es besteht große Gefahr einer menschlichen Katastrophe und eines vollständigen Systemzusammenbruchs“, betonte OCHA. Durch die Krise drohten viele der Fortschritte, die in den 20 Jahren ohne die Taliban erreicht wurden, wieder rückgängig gemacht zu werden. Derzeit sind nach UN-Angaben fast 30 Millionen Menschen in Afghanistan auf Hilfe angewiesen, gut zwei Drittel der Gesamtbevölkerung.
Misereor mahnte, gerade vor dem aktuellen Hintergrund des Krieges in Nahost andere Krisen wie in Afghanistan nicht aus dem Blick zu verlieren. Mangelnde Aufmerksamkeit führe im digitalen Zeitalter von Hashtags und Klicks dazu, dass weniger Interesse, weniger Bewusstsein und weniger Geld bereitgestellt würden, sagte Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Wir schulden unseren Partnern, dass wir nicht müde werden, aufmerksam zu machen auf das, was nicht gesehen wird. Immer und immer wieder.“
Gleichzeitig warnen Hilfsorganisationen davor, dass sich die Lage durch die aus Pakistan ausgewiesenen Flüchtlinge noch weiter verschlechtern werde. Die Rückkehrer stünden vor dem Nichts, es gebe nicht genügend sauberes Wasser und zu wenig Lebensmittel, sagte Caritas international-Chef Oliver Müller. Der Winter mit bereits jetzt deutlichen Minustemperaturen könne insbesondere für Kinder tödlich sein. „Wir dürfen die Menschen angesichts dieser dramatischen Not nicht alleine lassen“, forderte Müller.
Seit dem 1. November müssen rund 1,7 Millionen afghanische Flüchtlinge ohne gültige Papiere Pakistan verlassen. Die pakistanische Regierung hatte die Ausweisung als Maßnahme gegen den Terrorismus bezeichnet. Nach Angaben von Hilfsorganisationen stecken derzeit mehrere Hunderttausend Menschen im Grenzgebiet zu Afghanistan fest.
Viele Menschen seien mutmaßlich vor den Taliban nach Afghanistan geflüchtet, erklärte der Länderreferent für Pakistan und Afghanistan von Malteser International, Markus Haake. Ob die Rückkehrerinnen und Rückkehrer in Afghanistan in Sicherheit seien, sei schwer zu beurteilen. „Allerdings wissen wir, dass die Angst vor Verfolgung und wirtschaftlichem Elend innerhalb der afghanischen Gemeinschaft von Geflüchteten weit verbreitet ist. Der nahe Winter schürt weitere Ängste“, so Haake.