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Ältestes Foto Deutschlands in München präsentiert

Manchmal lohnt es sich, ein Bild auch von hinten anzuschauen. So gelang einer Mitarbeiterin des Deutschen Museums eine Entdeckung. Jetzt muss die Geschichte der Fotografie in Deutschland umgeschrieben werden.

Das Zeitalter der Fotografie begann in Deutschland zwei Jahre früher als bisher angenommen. Das Deutsche Museum präsentierte am Dienstag in München ein Lichtbild vom März 1837. Es zeigt die Münchner Frauenkirche mit ihren beiden Zwiebeltürmen. Angefertigt wurde es von Franz von Kobell (1803-1882). Seine nur vier mal vier Zentimeter große Aufnahme datierte er handschriftlich auf der Rückseite.

Das Bild war schon bekannt, nicht aber, wie alt es tatsächlich ist. Cornelia Kemp, langjährige frühere Kuratorin für Foto und Film im Deutschen Museum, entdeckte die Notiz erst kürzlich bei Recherchen für ein neues Buch. Demnach gelangte die Fotografie mit anderen 1906 in den Besitz des Museums, befestigt auf Karton und gerahmt. 1939 seien die Bilder zur Feier von 100 Jahren Fotografie in neue Passepartouts gepackt worden. “Allerdings ohne auf die Rückseiten zu sehen”, sagt die Kunsthistorikerin. Die Aufnahmen stammten aus einer Mappe, lichtgeschützt gelagert in einem speziellen Kühl-Archiv. Es gebe noch 13 weitere Fotos aus der Zeit.

Kobell, Professor für Mineralogie an der Münchner Universität, benutzte dafür Salzpapier. “Er hat herausgefunden, wie man belichtete Bilder fixiert – indem man das unbelichtete Silber herauslöst”, sagt Kemp. Über seine frühen Aufnahmen habe er kein Wort verloren. Nachdem er das Verfahren verstanden hatte, habe er die Sache nicht weiterverfolgt. Die Forscherin vermutet, dass das Bildergebnis Kobell künstlerisch bedeutungslos erschienen sei. Als zu eintönig verglichen mit hochwertigen Zeichnungen eines Maler-Onkels.

Und noch einen Nachteil gab es: Das von Kobell verwendete Papier war zu dick, um Abzüge davon herzustellen. Positive sind davon erst heute dank digitaler Technik möglich. Sie ergeben indes ein erstaunlich detailreiches Bild. Auf ihm lassen sich sogar die Zifferblätter der beiden Turmuhren erkennen.

Gemeinhin gilt der Franzose Louis Daguerre (1787-1851) als Erfinder der Fotografie. Er brachte das Bildgebungsverfahren mittels einer Kamera zur Serienreife. So ließ es sich auch kommerziell nutzen. Der Pionier machte die sogenannte Daguerreotypie 1839 in Paris bekannt. War Kobell mit seiner Entdeckung womöglich früher dran?

Kemp sagt, Daguerres älteste erhaltene Aufnahmen stammten ebenfalls von 1837. Allerdings sei der Tag nicht überliefert. Außerdem gebe es weitere Vorläufer, die mit verschiedenen Techniken experimentiert hätten. Die erste Fotografie der Welt wird Joseph Nicephore Niepce zugeschrieben, einem Landsmann und späteren Geschäftspartner Daguerres. Sie stammt von 1826 und zeigt einen Blick aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. Die Belichtungszeit betrug acht Stunden.

Nach Kemps Einschätzung muss nun aber wenigstens die Geschichte der Fotografie in Deutschland umgeschrieben werden. Dass Franz von Kobell hierzulande das erste Foto geschossen habe, “das steht felsenfest”. Und auch, dass sein Beitrag zur Entwicklung der Technik bisher “völlig unter den Tisch gefallen” sei. Also quasi unterbelichtet war.

So kam es, dass sein Name bisher für etwas ganz anderes steht. Von Kobell veröffentlichte 1871 in oberbairischer Mundart “Die Gschicht vom Brandner Kasper”. Durch mehrere Bühnenfassungen und Verfilmungen wurde das Stück zum Klassiker: Ein gewitzter Alter ringt dem leibhaftigen Tod erfolgreich ein paar weitere Lebensjahre ab, durch den Einsatz von reichlich Kirschgeist und Spielkarten.

Zumindest eine zeitliche Verbindung gibt es zwischen Kobells literarischer und lichtbildnerischer Tätigkeit. “Er hat genau in dem Jahr angefangen zu dichten, als er mit der Fotografie aufgehört hat”, sagt Kemp. “Er war ein sehr vielseitiger Mann und hat unter anderem auch sehr schön Zither gespielt.”