Adele-Gottesdienst: Mystikerin mit einer „flüssigen Spiritualität“
Auch der zweite Adele-Gottesdienste in Heidelberg war ein Erfolg. Citykirchenpfarrer Vincenzo Petracca spürte in seiner Predigt dem Verhältnis der Pop-Sängerin zu Religion nach.
An diesem spätsommerlichen Tag verlassen viele Menschen die Heiliggeistkirche in Heidelberg mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Sie hatten in der spätgotischen Kirche im Zentrum der Altstadt einen der beiden Adele-Gottesdienste aus der Reihe „Citykirche Rock ’n’ Pop“ besucht. Gerade noch hörten sie der fulminanten Sängerin Tine Wiechmann mit ihrer dreiköpfigen Band zu, erlebten den Mannheimer Streetdancer Mr. Quick, wie er sich vor dem Altar ausdrucksstark zu der Musik von Adele bewegte. „Wir machen seit neun Jahren an dieser Kirche Kulturarbeit“, sagt Pfarrer Vincenzo Petracca im Gespräch vorab. „Wir experimentieren mit der Form des altbekannten Gottesdienstes und trauen uns, tief in die aktuelle Popmusik einzusteigen.“
Gottesdienste mit Popmusik wurden hier schon einige gefeiert, etwa zu den Beatles, Leonard Cohen und Michael Jackson. Den größten Zuspruch erhielt bislang ein Taylor-Swift-Gottesdienst im Mai dieses Jahres. Im Nu waren die kostenlosen Sitzplätze in der Heiliggeistkirche ausgebucht. Für die beiden Adele-Gottesdienste vergangenen Sonntag standen vorausschauend insgesamt 1200 Plätze bereit, die fast alle zwei Monate im Voraus vergeben waren. „Einen Taylor-Swift- oder Adele-Gottesdienst am Sonntag verbuche ich wie einen Heiligabendgottesdienst“, sagt Petracca. Zu diesem „punktuellen Angebot“, in Ergänzung, nicht in Konkurrenz zu traditionellen Gemeindeformaten, kämen viele, die oftmals nicht über die Schwelle eines Gotteshauses treten. „Wir wollen bewusst Menschen ansprechen, die wir sonst als Kirche nicht mehr erreichen, die aber Interesse an Fragen des Glaubens und der Spiritualität haben.“
Citykirchen-Pfarrer: „Es ist kein Konzert, sondern ein Gottesdienst“
Jetzt also Adele: Sieben Songs der Britin kamen in der lichtdurchfluteten Emporenhalle der Heiliggeistkirche um 11 und 13 Uhr zur Aufführung. Um Missverständnissen vorzubeugen: „Es ist kein Konzert, sondern ein Gottesdienst“, sagte Vincenzo Petracca in seiner Ansprache. „Genießen wir diesen Moment, den wir gemeinsam erleben.“ Kunstvoll zieht der Citykirchen-Pfarrer von da an in der Liturgie einen roten Faden durch die von der Band live gespielten Lieder von Adele: unter anderem „Skyfall“ – für den Titelsong des gleichnamigen James-Bond-Films gewann die heute 36-Jährige 2013 einen Oscar –, „Oh My God“, „Easy On Me“, „When We Were Young“ und „Make You Feel My Love“, in der Originalversion von Bob Dylan.
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Petracca stellte die in Nordlondon geborene Songwriterin vor, beleuchtete den Werdegang der mit vier Alben zu Ruhm gekommenen jungen Frau aus Tottenham mit der 3-Oktaven-Stimme, die Kritiker als „himmlisch“ bezeichnet hätten. Vom „biertrinkenden Mädchen“ – Adele sprach öffentlich über ihren Alkoholkonsum – über die „Diva in Schwarz“ bis zur „Adele-Manie in unserem Land“ mit zehn Auftritten in diesem Sommer in München. Seit Jahren unterstützt die Sängerin die queere Community und zeigte kürzlich in Las Vegas mit einer geharnischten Erwiderung klare Kante, als ein Gast in einem ihrer Konzerte einen homophoben Spruch machte. „Wir teilen ihre Haltung“, sagte der Pfarrer der Heiliggeistkirche. „Bei uns sind alle willkommen.“
Adele mit einer Spiritualität, die „tief in der christlichen Gedankenwelt verankert“
Die Gretchenfrage stellte Petracca selbst: Wie hält es Adele mit der Religion? Vom evangelikalen Glauben ihrer Kindheit distanziere sie sich heute, so der Pfarrer. Er bezeichnete sie als Mystikerin mit einer „flüssigen Spiritualität“, die „tief in der christlichen Gedankenwelt verankert“ sei: „Sie zeigt uns eine unsichtbare Welt, in der alles in der Schöpfung mit allem verbunden und von Gott und seinen himmlischen Mächten durchdrungen ist.“
Maria und Silvia aus der Region Heidelberg bleiben nach diesem besonderen Gottesdienst noch einen Moment auf ihren Plätzen sitzen. Sie lachen, schauen sich etwas skeptisch an. Wie hat es ihnen gefallen? Die Ausführung fanden sie „toll“. Aber Adele lebe als Star in einer ganz anderen Welt. Das sei ihr fern, sagt Maria. Wie wolle man beurteilen, wie spirituell sie ist? Silvia wiederum erzählt begeistert von einem Fußballgottesdienst, der im Juli während Europameisterschaft in der Heiliggeistkirche stattgefunden hat. In Zukunft gehen sie aber wohl wieder getrennt in Gottesdienste oder zu Konzerten.
Das kleine Team um Vincenzo Petracca erhält aber auch viel positives Feedback für diese neuen kulturellen Formate. Noch in diesem Jahr wird der Pfarrer ein bereits standesamtlich verheiratetes Paar trauen, das einen der Taylor-Swift-Gottesdienste besucht hatte und danach auf ihn zukam. „Ich gebe etwas mit. Das ist mein Auftrag als Pfarrer, das verstehen wir als Auftrag an Heiliggeistkirche“, sagt Petracca. „Wir bringen die Botschaft der Liebe Gottes unter die Menschen. Was daraus wächst, wer was mitnimmt, das haben wir nicht in der Hand.“