Am vergangenen Wochenende zogen erneut christliche Fundamentalisten mit dem „Marsch für das Leben“ durch Berlin. Den Abtreibungsgegnern stellten sich Hunderte Gegendemonstrierende entgegen. Die Evangelische Kirche war auf keiner der beiden Seiten vertreten. Entzieht sich die Kirchenleitung der Debatte um Frauenrechte?
Von Markus Kowalski
Vor dem Bundestag parkt ein Lieferwagen. Die Tür auf der Rückseite geht auf und mehrere Ordner in grünen Westen holen stapelweise Kreuze heraus. Es sind weiße Holzkreuze, rund ein Meter hoch, die an die Demonstrierenden verteilt werden. Sie sollen an die abgetriebenen Kinder erinnern.Mit dieser makaberen Symbolik formiert sich am vergangenen Wochenende der „Marsch für das Leben“. Mehrere tausend Menschen sind aus ganz Deutschland angereist, viele Busse kommen aus Bayern und Baden-Württemberg. Sie nennen sich selbst „Lebensschützer“ und wollen ein generelles Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen erreichen. Die Veranstalterin Alexandra Linder sagt, es sei kein christlicher Marsch, sondern eine „politische Veranstaltung“. „Aber naturgemäß sind da viele Christen dabei“, sagt sie. Die Demonstrierenden sind Menschen, die besorgt sind. So wie Jacqueline. Die 22-Jährige steht in der Menge und hält eines der weißen Kreuze. „Als Christ möchte ich das Leben schützen, das sich nicht selbst verteidigen kann“, sagt sie. „Wenn eine Frau schwanger wird, ist nicht mehr nur ihr eigenes Leben betroffen, das Kind in ihrem Bauch ist genauso viel wert.“Auf einer Bühne vor dem Parlament spielen Musiker Lieder, die an christlichen Lobpreis erinnern. Dazu versammeln sich dutzende Geistliche, die Kreuzkette und Kollar tragen. Wie der Berliner Weih-bischof Matthias Heinrich, der auf der Bühne ein Grußwort verliest. Die Einschränkung der Frauenrechte ist für ihn legitim. „Abtreibung ist keine Frauenfrage, sondern eine Kinderfrage“, sagt er im Gespräch mit dem Reporter. Bricht eine Frau ihre Schwangerschaft ab, habe sie sich selbst aus der katholischen Kirche exkommuniziert. Das gelte auch, wenn sie durch eine Vergewaltigung schwanger werde und deswegen abtreibe. „Ausnahmen gibt es nicht“, bekräftigt er seine radikale Haltung. Er sei froh, dass die Christen hier bis an die Bischofsspitze vertreten seien. „Kirche hat hier ihren Platz.“Das sehen nicht alle so. Während die Kundgebung läuft, mischen sich einige Gegendemonstrierende in die Menge. Plötzlich öffnen sie bunte Regenschirme und rufen: „My body, my choice“ (Mein Körper, meine Entscheidung). An diesem Tag protestieren Menschen lautstark auf drei Gegenveranstaltungen. Dabei sind auch Christinnen vertreten. Anne Müller (25) hat ein Kreuz aus Pappe gebastelt, um den weißen Kreuzen der Abtreibungsgegner etwas entgegenzuhalten. Auf ihrem steht auf Englisch: „Ich bin Christin und für Selbstbestimmung. Hört auf, die Bibel für eure Propaganda zu instrumentalisieren.“ Es sei ihre religiöse Pflicht, sich für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Menschen einzusetzen, erzählt sie. „Jesus will Leute mit kritischem Verstand.“ Die Demonstration, auf der sie ihr Kreuz hochhält, heißt „What the fuck“ – Was zur Hölle. Hunderte Feministinnen kritisieren die Forderungen der „Lebensschützer“ als religiöse Bevormundung. Sie stellen sich gegen ein frauenfeindliches und patriarchales Menschenbild. Stattdessen fordern sie, dass Schwangere selbst entscheiden dürfen, ob sie das Kind behalten wollen oder nicht. Nachdem diese Demonstration durch die Stadt gezogen ist, treffen die Frauenrechtler am Brandenburger Tor auf den „Marsch“, der sich inzwischen in Bewegung gesetzt hat. Absperrgitter der Polizei halten beide Gruppen auseinander.Dutzende katholische Geistliche und besorgte Christen schweigend auf der einen Seite, vereinzelte engagierte Christen lautstark für Frauenrechte auf der Gegenseite. Doch wo steht die Leitung der Evangelischen Kirche? Die hatte im letzten Jahr den schrillen Abtreibungsgegnern die offizielle Unterstützung verwehrt. Doch in diesem Jahr schließt sie sich erneut nicht dem Gegenprotest an, obwohl dort selbst Gewerkschaften, Parteien und die Stadt Berlin vertreten sind. „Wir hatten die Evangelische Kirche für ein Grußwort angefragt“, sagt Ines Schreiber, Organisatorin des bürgerlichen Gegenprotests des „Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung“. „Aber die Verantwortlichen wollten sich nicht beteiligen und erst einmal sehen, wohin sich der Marsch politisch entwickelt.“ Entzieht sich die EKBO der Debatte um Schwangerschaftsabbruch?Auf Nachfrage weicht man im Büro von Bischof Markus Dröge aus. Die Evangelische Kirche setze sich „in anderer Weise für das ungeborene Leben ein“. So werde Frauen eine „ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung“ angeboten. Zwar lehne man ab, dass die Abtreibungsgegner Frauen, die abgetrieben haben, „pauschal diffamieren“. Aber auf der Straße kundtun will man das scheinbar nicht.