Abgeräumt – das Grab von 1954-Reporter Herbert Zimmermann

Unmittelbar vor dem 70. Jahrestag des Wunders von Bern: Das Grab von Reporter-Legende Herbert Zimmermann ist abgeräumt; keiner wollte es mehr. Und doch verdient die Familie eines Berliner Spitzenpolitikers weiter mit.

Kaum zu glauben: Das Grab von Reporterlegende Herbert Zimmermann ist abgeräumt worden – während der Heim-EM in Deutschland und unmittelbar vor dem 70. Jahrestag des unsterblichen 3:2 WM-Finalsiegs gegen Ungarn 1954 in Bern. Die Gemeindeverwaltung bestätigt, was die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) bei einem Besuch in Alfter-Witterschlick bei Bonn vorfand.

“Zimmermann? Hier unten den Weg runter gibt es zweimal Zimmermann.” In rheinischem Singsang weist eine freundliche Friedhofsbesucherin den Auswärtigen den Weg. Ein Weg, der nicht zum Ziel führt. Eine weitere Anwohnerin fragt: “Zimmermann? Der Fußballreporter?” Sie zeigt ein paar Meter hinunter nach schräg gegenüber – und wundert sich: Da war es doch gewesen…! “Das war ganz lange furchtbar ungepflegt”, sagt sie noch. Aber jetzt: frisch umgegraben, offenbar erst vor wenigen Tagen. Noch kein einziges frisches Unkraut ist zu sehen. Doch, eines: Ein Muttergottesgläschen windet sich schon an der Hecke zum Nachbargrab.

Die Pressesprecherin der Gemeinde, Maryla Günther, bestätigt auf KNA-Anfrage, die verbliebenen Familienangehörigen hätten die Räumung der Grabstelle beantragt. Aber der örtliche Sportverein, der TB Witterschlick, wolle sich weiter um Zimmermanns Andenken kümmern. – “Neinein”, so spielt der TB-Vereinsvorsitzende Michael Arenz den Ball umgehend an die Kommune zurück. Die Alten Herren des Vereins hätten wohl angeboten, das Grab zu pflegen.

Zum WM-Finale 2014 und noch einmal für eine Aktion 2015 hatte der TB den Zuweg “Auf dem Schurweßel” zum Vereinsgelände temporär in “Herbert-Zimmermann-Allee” umbenannt und mit den WM-Sternen von 54, 74, 90 und 2014 dekoriert – für jene Jahre, in denen Deutschland Weltmeister wurde. Aber als jetzt die Liegefrist geendet sei und nach Auskunft des Bürgermeisteramtes Zimmermanns Nachkommen den Grabstein übernommen hätten, sei “die Sache für uns abgeschlossen”, so Arenz. Die Gruft zu verlängern und den Stein zu übernehmen, womöglich gegen die Familie, sei finanziell wie rechtlich für den Verein nicht darstellbar gewesen.

Zimmermanns Nachkommen? Welche Nachkommen? Herbert Zimmermann war ein Onkel des Grünen-Urgesteins Hans-Christian Ströbele (1939-2022). Ihn nahm er einst manchmal mit ins Stadion. Und die Rechte an Zimmermanns legendärer Endspiel-Übertragung 1954 liegen bei…? Ströbeles Erben und seinen drei Geschwistern. Immer wenn die O-Töne nicht in der ARD ausgestrahlt werden, muss bis heute jede Veröffentlichung mit der Familie verhandelt werden. Rechtsvertreter war zeitlebens der Grünen-Sprecher, RAF-Anwalt und taz-Mitbegründer Ströbele.

Zimmermann, geboren im Krieg 1917 in Alsdorf bei Aachen, lebte nach dem Zweiten Weltkrieg für zwei Jahrzehnte in Witterschlick. Hier war er bereits als Kleinkind im Nachkriegsherbst 1920 im örtlichen Pfarrhaus untergebracht gewesen; weil der Vater, ein Versicherungsvertreter, fast permanent auf Geschäftsreisen war. 1946 ließ sich die Familie endgültig dort nieder.

Zimmermann lernte das Handwerk bei bekannten Größen des NS-Rundfunks. Als Wehrmachtsoffizier wurde er schwer verletzt, aber für “schlachtentscheidendes Verhalten” an der Ostfront hoch dekoriert. Nach dem Krieg machte er als Sportreporter rasch Karriere und führte unter anderem die Fußballkonferenzschaltung ein. Witterschlicker, die ihn in den 40er Jahren kennenlernten, bezeichneten den Aufsteiger mit den stets schicken Dienstwagen später in der Lokalpresse als einen “Kumpel, auf den man sich verlassen konnte”.

Die Sternstunde seines Lebens aber war die emotionale Radio-Reportage vom WM-Finale am 4. Juli 1954 aus dem Wankdorf-Stadion. Zimmermanns Moderation ist für immer mit dem “Wunder von Bern” verbunden. Viele Gedanken hatte er sich im Vorfeld gemacht, wie er die Zuhörer in Deutschland auf die zu erwartende Niederlage gegen die unbesiegbaren Ungarn einstimmen und übertriebene Euphorie bremsen könnte. Doch es kam dann alles anders.

Da die Tonspur der damaligen Fernsehreportage verschollen ist, wurden später Zimmermanns pathetische Radio-Töne unter die offiziellen Film-Bilder der Fifa gelegt. Sie sind bis heute in großen Teilen sprichwörtlich: “Sechs Minuten noch im Wankdorf-Stadion in Bern; keiner wankt. Der Regen prasselt unaufhörlich hernieder.” Oder: “Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!” Und am Ende dann der Schrei, der die “Stimme von Bern” endgültig unsterblich machte: “Aus! Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus!! Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit 3:2 Toren!”

Allerdings hätten Zimmermanns Emotionen ihn auch beinahe den Job beim NWDR gekostet – weil er den deutschen Torhüter Toni Turek allzu emphatisch gepriesen hatte: “Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!” Der einflussreiche Christ, Bankier, CDU-Bundestagabgeordnete und Adenauer-Berater Robert Pferdmenges forderte vehement ein Berufsverbot für ihn, allerdings vergeblich.

Zimmermanns letzte große Radio-Reportage war das WM-Finale 1966, das Deutschland letztlich durch das legendäre “Wembley-Tor” mit 2:4 gegen England verlor. Wenige Monate später, am 16. Dezember 1966, starben der mondäne Lebemann und seine Lebensgefährtin nach einem Unfall auf der Fahrt zu einem Interview mit dem damaligen DFB-Präsidenten Hermann Gösmann.

Zimmermann wurde nur 49 Jahre alt – und in der schlichten Familiengruft seiner Eltern Meta und Alois in Witterschlick beigesetzt. Nun aber scheint, ganz zur Unzeit, die Zeit über die Reporterlegende hinweggegangen zu sein. Die Wahrheit liegt – auf’m abgeräumten Platz…