90-Minüter begleitet sechs Top-Manager über zwei Jahre

Der lange Dokumentarfilm „Einsame Spitze – Vorstandsvorsitzende“ bietet seltene und aufschlussreiche Einblicke in Chefbüros deutscher Konzerne, lässt aber auch Wünsche offen.

Wirtschaft ist wichtig und in der Politik eines der wichtigsten Ressorts. Sie sorgt schließlich für viele Steuereinnahmen, über deren Verteilung die anderen Ressorts dann streiten. Daran gemessen, spielt Wirtschaft in den Informationssendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens interessanterweise keine sehr große Rolle. Über Skandale wird berichtet, spektakuläre Meldungen schaffen es in die Nachrichtensendungen und täglich wird zur Börse geschaltet und referiert, wie „die Märkte“ reagieren oder eher: agieren.

Schon daher ist es sinnvoll, wenn mit „Einsame Spitze – Vorstandsvorsitzende“ (Montag, 5. Februar, 22.25 Uhr, 3sat + Dienstag, 6. Februar, 23.15 Uhr, ARD, vorab in beiden Mediatheken) ein langer Dokumentarfilm sechs Spitzenkräfte deutscher Konzerne laut Pressetext „knapp zwei Jahre“ begleitet hat und nun deren Arbeitsalltag zeigt. An zwei Frauen – Annette Mann, Chefin der Lufthansa-Tochter Austrian Airlines, und Sigrid Nikutta, Chefin der Gütertransport-Sparte der Deutschen Bahn – sowie vier Männern war das Filmteam ziemlich nah dran.

Die Kamera beobachtet die Vorstandsvorsitzenden vor und während Terminen mit Politik und Medien, sitzt bei ihnen vor großen Schreibtischen und hinten im Wagen (oder in der Bahn, die Nikutta zum Reisen nutzt). Oder im Charter-Flieger mit dem Chef des Energiekonzerns Eon, Leonhard Birnbaum, der dabei bekundet, wann immer möglich, Linie zu fliegen. Die Top-Managerinnen und -Manager sprechen optimistisch über ihre Herausforderungen, schon „weil Menschen einen optimistischen Chef sehen wollen“ (Birnbaum). Dann reden sie auch nachdenklich über Wettbewerbsfähigkeit, Karriere, Emotionen, ihre Familien, den demografischen Wandel und den Kapitalismus an sich.

Dabei sind die Fragen, auf die sie antworten, allerdings nicht zu hören. Filmautorin Nicola Graef zeigt sich nicht im Bild und verzichtet auf einen einordnenden Offkommentar. Das trägt hier auf wohltuende Weise zum Eindruck bei, sich selbst eine Meinung bilden zu müssen.

Man erfährt viel Interessantes. Der Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller kommt offenbar selbst auf das Thema zu sprechen, dessentwegen die BASF oft kritisiert wird: die trotz der inzwischen in der Politik herrschenden Vorbehalte weiterhin starke Fixierung auf China. Der bei Drehbeginn noch im Amt befindliche Audi-Chef Markus Duesmann duzt sich mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil (der wiederum die Anwesenheit von Kameras gleich für ein weiteres Fernseh-Statements nutzt).

Man wird zum Weiterdenken angeregt. Einerseits mag seltsam wirken, wenn Männer referieren, dass ihre Kinder ihnen sagen würden, sie, die Väter, seien immer für sie da gewesen. Andererseits schützt genau das die Privatsphäre dieser Kinder: dass sie nicht selbst vor die Kamera gebeten werden.

Dass manches Aktuelle, zu dem man Auskünfte erwarten würde, nicht vorkommt, liegt in der Natur solch einer Langzeitbeobachtung. Auf der anderen, der Haben-Seite kann der Film sozusagen den Paukenschlag verbuchen, dass der eben noch so umtriebige Audi-Chef plötzlich keiner mehr ist. Markus Duesmann wurde im Sommer 2023 entlassen. Vor der Kamera nimmt er es sportlich, spricht von „Trainerwechsel“, und wirkt doch angefasst („Ich bin ja auch nur ein Mensch“).

All das ist aufschlussreich und fügt dem, was sonst im Fernsehen zum Thema Wirtschaft zu sehen ist, wichtige Facetten hinzu. Auf die Dauer allerdings nimmt die performative Selbstdarstellung der Manager etwas überhand, was bei einer Filmlänge von 90 Minuten schon etwas nervt.

Ein paar Momente, in denen mal niemand sich medienöffentlich selbst erklärt oder vor der Kamera performt, in denen einfacht etwas beobachtet wird – zum Beispiel das Managen an sich, oder Produktion und Transport der Güter, um die es schließlich geht – hätten dem Film gut getan.

Niemand muss bedauern, den durchaus kurzweiligen 90-Minüter angesehen zu haben. Aber gerade weil lange Dokumentarfilme im durchformatierten Fernsehen so selten sind, wäre etwas mehr visuelles Reflektieren, wären ein paar zwischendurch Distanz schaffende Momente wertvoll gewesen.