74. Berlinale steht auch im Zeichen von Kriegen und Konflikten

Eigentlich soll es um die Filme gehen. Doch die aktuellen politischen Entwicklungen wirken sich auch auf die Berliner Filmfestspiele aus. Das passt an sich aber gut zur Tradition.

Die Berlinale wird ihrem Ruf als politisches Filmfestival in diesem Jahr wieder einmal gerecht – wenn auch zum Teil anders, als von den Veranstaltern gedacht. Knapp zwei Wochen vor der Eröffnung am Donnerstag ereilte das Filmfestival ein heikles Thema: Viele Film- und Kulturschaffende protestierten öffentlich gegen die Einladung von AfD-Politikern zur Eröffnungsgala der 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin.

Zunächst kündigte die Leitung des Filmfestivals lediglich an, einen nachdrücklichen Brief an die AfD-Politiker zu schreiben, da diese gegen demokratische Werte handelten. Schließlich zogen Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und der künstlerische Leiter Carlo Chatrian in der vergangenen Woche doch noch die Reißleine – und luden die unwillkommenen Gäste aus.

Die AfD-Abgeordneten aus Bundestag und Berliner Abgeordnetenhaus waren als Mitglieder von Kulturausschüssen aufgrund von Einladungsquoten über Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und den Berliner Senat eingeladen worden. In den Vorjahren hatte diese Praxis nicht solches Aufsehen erregt.

Roth sagte dazu am Dienstag, sie respektiere die Entscheidung der Berlinale-Leitung, auch wenn sie diese nicht empfohlen habe. Es müsse sehr viel mehr getan werden, um die Demokratie zu fördern und Abgeordnete, die „eine Idee haben von einer Demokratiezersetzung“, zu bekämpfen. Eine Ausladung allein reiche nicht.

Rissenbeek und Chatrian hatten schon bei der Vorstellung des Wettbewerbsprogramms im Januar eine politische Stellungnahme abgegeben: Man stelle sich gegen jegliche Form von Diskriminierung und setze sich für interkulturelle Verständigung ein. Mit Sorge beobachte man die Ausbreitung von Antisemitismus, anti-muslimischen Ressentiments und Hassreden in Deutschland und weltweit, so das scheidende Leitungsduo der Filmfestspiele.

Auch sonst spielen auf der Berlinale aktuelle Entwicklungen, Konflikte und Kriege eine Rolle. Geplant sind etwa eine Diskussion zum Filmemachen in Zeiten von Konflikten sowie ein mobiles Tiny House für einen Dialog über den Nahost-Krieg.

Politisch geht es auch im Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären zu. Unter den 20 nominierten Filmen ist etwa der iranische Film „Keyke mahboobe man“ (Mein Lieblingskuchen) von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha. Die Berlinale protestiert gegen ein Reiseverbot, das gegen die beiden verhängt wurde. 2020 hatte bereits der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof seinen am Ende mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Film „Es gibt kein Böses“ über die Todesstrafe in seinem Heimatland nicht persönlich in Berlin präsentieren können.

Mit einem vom Leben der NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi inspirierten Drama geht hingegen in diesem Jahr der deutsche Regisseur Andreas Dresen ins Rennen. Liv Lisa Fries und Johannes Hegemann spielen die Hauptrollen in „In Liebe, Eure Hilde“. Nach mehr als zehn Jahren ist zudem Matthias Glasner mit „Sterben“ im Wettstreit um die Bären zurück. Das Familiendrama versammelt ein Star-Ensemble, zu dem unter anderen Lars Eidinger, Lilith Stangenberg, Corinna Harfouch, Ronald Zehrfeld und Robert Gwisdek zählen.

Der deutsch-französische Dokumentarfilm „Architecton“ von Victor Kossakovsky geht der Zukunft des Bauens nach. Eine weitere Dokumentation im Wettbewerb, „Dahomey“ von Mati Diop, folgt der Rückgabe von kolonialer Raubkunst. Zu den auf dem Roten Teppich erwarteten Stars gehört auch die französische Schauspielerin Isabelle Huppert, die erneut mit dem südkoreanischen Berlinale-Dauergast Hong Sangsoo zusammengearbeitet hat – „Yeohaengjaui pilyo“ (A Traveler’s Needs) konkurriert ebenfalls um die Bären.

Eröffnet wird die Berlinale am Donnerstagabend mit dem Wettbewerbsbeitrag „Small Things Like These“ (Kleine Dinge wie diese) von Tim Mielants. Das Drama mit „Oppenheimer“-Star Cillian Murphy erzählt von den Enthüllungen zu den früheren irischen „Magdalenen-Wäschereien“. In den von katholischen Frauenorden betriebenen Heimen mussten Frauen, die aus der Gesellschaft ausgestoßen worden waren, unbezahlt schwere Arbeiten verrichten.

Der Internationalen Jury, die über die Bären-Vergabe entscheidet, sitzt die kenianisch-mexikanische Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o vor. Auch der deutsche Regisseur Christian Petzold ist Mitglied der Jury. Für ihr Filmschaffen werden Oscar-Preisträger Martin Scorsese mit dem Goldenen Ehrenbären sowie der deutsche Regisseur und Autor Edgar Reitz mit der „Berlinale Kamera“ geehrt.

Nach der bis zum 25. Februar laufenden Berlinale wird das bisherige Leitungsduo Chatrian und Rissenbeek nach fünf Jahren im April von der US-Amerikanerin Tricia Tuttle abgelöst. Sie leitete früher das London Film Festival.