50 Jahre Ökumenische Jury Cannes: Filme abseits vom Mainstream

Wir alle kennen Cannes. Was weniger bekannt ist: Eine internationale Jury mit unterschiedlichen christlichen Konfessionen nimmt die Filme aus einer ganz besonderen Perspektive unter die Lupe.

Den Preis der Ökumenischen Jury in Cannes 2024 erhielt der Film "The Seed of the Sacred Fig" von Mohammad Rasoulof
Den Preis der Ökumenischen Jury in Cannes 2024 erhielt der Film "The Seed of the Sacred Fig" von Mohammad RasoulofImago / ABACAPRESS

Das Filmfest in Cannes ist weltberühmt: mit den glitzernden Stars der Leinwand, den visionären Regisseuren und Regisseurinnen, dem roten Teppich, den spektakulären Garderoben und der jährlich wechselnden Jury aus prominenten Filmschaffenden. Vergangenen Samstag sind die 77. Filmfestspiele in Cannes mit der Verleihung der Goldenen Palme zu Ende gegangen. Die Liste der Preisträgerinnen wurde über den gesamten Globus hinweg in allen Nachrichten bekanntgegeben.

Weniger bekannt ist, dass an allen Orten der großen Filmfestivals eine ökumenisch und international besetzte Jury aus allen Kontinenten und christlichen Konfessionen zusammenkommt, um die Visionen der Filmschaffenden aus einer Perspektive der Menschenwürde, der Bilder vom Menschen, der Gemeinschaft und Solidarität zu betrachten und die Frage zu stellen, welche Herausforderungen für die Gegenwart die Filme artikulieren und welche Zeichen von Hoffnung sie setzen.

Filme, die von jungen Menschen erzählen

Im Jahr 2024 und im 50. Jahr der Ökumenischen Jury in Cannes, waren es besonders die Filme, die von jungen Menschen erzählen, die die ökumenische Jury fesselten.

Unserer Autorin Johanna Haberer ist Theologin und Journalistin
Unserer Autorin Johanna Haberer ist Theologin und Journalistinepd-bild

Zu nennen sind da aus dem Wettbewerb, die Geschichte der 19jährigen jungen Frau Liane in „Diamond brut“. Bewahrt von ihrem naiven Glauben an ihre Schutzheiligen und überzeugt von ihrer strahlenden Zukunft, macht sie sich auf, eine Influencerin zu werden. Ihr Ziel: von der Welt gesehen zu werden. Das gelingt ihr ohne sich dabei korrumpieren, verführen oder zu verkaufen zu lassen in dem eindrucksvollen Film der jungen französischen Regisseurin Agatha Riedinger.

“Bird”: Von missmutigen Pubertierenden zur selbstbewussten Frau

Auch die 12jährige Bailey in dem Film „Bird“ der englischen Regisseurin Andrea Arnold kämpft mit dem Erwachsenwerden. Ihr immer noch jugendlicher Vater, der zwei seiner Kinder in einem besetzen Haus in einer englischen Vorstadt aufzieht, will seine aktuelle Lebensgefährtin heiraten. Ihre Mutter lebt mit ihren anderen drei kleinen Geschwistern zusammen, die Bayley vor deren gewalttätigen Lebensgefährten immer wieder beschützen muss. Sie droht unter dem Übermaß an Gleichgültigkeit und Verantwortung zu zerbrechen, bis ihr ein seltsamer Reisender nach Irgendwo begegnet. Er erkennt sie in ihrer Schönheit und Kraft und wacht über ihre Wandlung wie eine besondere Art Schutzengel.

Beyley verwandelt sich in dieser magischen Woche, die der Film sie begleitet und in der ihr die Welt neu begegnet, von einer missmutigen Pubertierenden in eine selbstbewusste junge Frau, die am Ende mit den verstreuten Teilen ihrer prekären Familie ein fröhliches Hochzeitsfest feiert.

Ökumenische Jury zeichnet „The seed oft he sacred fige“ aus

Keiner dieser Filme sind von der Jury der Filmschaffenden mit einem Preis versehen worden. Sie konnten offenbar nicht mithalten mit den publikumswirksamen und schrillen Stories zum Beispiel von einer Sexarbeiterin, die sich in einen russischen Oligarchensohn verliebt („Anora“ ausgezeichnet mit der goldene Palme 2024).

Auch die ökumenische Jury hat dann schließlich einen anderen Film ausgezeichnet. „The seed oft he sacred fige“ (Deutsch: Der Same der heiligen Feige) ist der Film des iranischen Regisseurs und Autors Mohamad Rasoulof. Vor etwa zwei Wochen wurde er im Iran zu acht Jahren Haft mit fünfzig Peitschenhieben verurteilt und ist daraufhin zu Fuß übers Gebirge geflohen. Den Film, der im Geheimen gedreht wurde, hat er einem Freund mitgegeben. Die Endbearbeitung fand schließlich in Hamburg statt. Rasoulof konnte an der Premiere am letzten Tag des Festivals persönlich teilnehmen. Die Fotos seiner beiden Hauptdarsteller hielt er in die Kameras, sie wurden an der Ausreise gehindert.

Auch dieser Film nimmt die Perspektive junger Menschen ein. Der Film erzählt die Geschichte eines Ermittlungsrichters im gegenwärtigen Iran, der nach einem Karrieresprung jeden Tag Todesurteile gegen die für die Freiheit demonstrierenden jungen Menschen verhängt. Zuhause beobachten seine Töchter im Netz die Liveberichterstattung über die Demonstrationen und müssen miterleben wie die beste Freundin der Älteren von Soldaten mit Schrotmunition ins Gesicht geschossen wird. Die Realitäten des Vaters und seiner Töchter beginnen auseinanderzufallen und – nachdem seine Pistole verschwindet – beginnt der Vater gegen die Frauen in der eigenen Familie zu ermitteln.

Abschiedsvorstellungen alter weißer Regisseure

Hart ausgedrückt, war dies der einzige wichtige Film auf einem Festival, auf dem es sich schwerpunktmäßig um die Abschiedsvorstellungen alter weißer Regisseure handelte oder bei dem es um das Thema des weiblichen Körpers und des Schönheitsterrors ging.

Die Jury gab ihren Preis an den Film, der die Metapher vom Samen der Feige als das Bild einer Revolution junger Frauen und Männer in den Raum stellt, die schließlich die patriarchalische und konservativ religiöse Garde ablösen wird.

Unsere Autorin Johanna Haberer ist Teil der Ökumenischen Jury in Cannes