3sat-Dokumentation über Pflege und Pflegende am Limit
Rund vier von fünf Millionen Pflegebedürftigen werden in Deutschland zu Hause versorgt. Über die daraus entstehenden emotionalen und finanziellen Anforderungen berichtet ein Dokumentarfilm bei 3sat.
Früher oder später kann Care-Arbeit auf jede und jeden zukommen. Was tun, wenn ein Mensch aus dem Umfeld plötzlich pflegebedürftig wird, auf Zuwendung und Versorgung durch andere angewiesen ist? Von hierzulande fünf Millionen Pflegebedürftigen werden vier Millionen zu Hause versorgt. Mit den daraus resultierenden emotionalen und finanziellen Anforderungen befasst sich der Dokumentarfilm „IchDuWir – Wer pflegt wen?“, den 3sat am Mittwoch um 20.15 Uhr zeigt.
Auslöser für den Film war bei Autorin und Regisseurin Susanne Binninger nach eigenen Worten die persönliche Betroffenheit, als ihre eigene Mutter pflegebedürftig wurde. Sie sei wie die meisten völlig überfordert gewesen mit der Situation. Zugleich wollte sie verstehen, wie Pflege organisiert ist – und vor allem, wie es anderen Pflegenden mit dieser Herausforderung ergeht, die gerne verdrängt werde. Binninger zeigt auf: Wer Sorgearbeit leistet – ob nun professionell in Heim oder Klinik oder privat und daheim – ist meist weiblich, wird oft schlecht oder gar nicht bezahlt und erfährt trotz der existenziellen Bedeutung von Pflege wenig Wertschätzung.
Auffallende Besonderheit dieses Films ist die Nähe zu den Pflegenden – Zahlen und Statistiken werden lediglich kurz erwähnt, um Aussagen zu begleiten oder zu untermauern. „Sieben Tage die Woche ist man Manager on duty“, beschreibt Linda offen ihre Situation – inklusive der finanziellen Umstände. Die Norddeutsche ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Der viereinhalbjährige Jan hat das Down-Syndrom und benötigt besonders viel Fürsorge, Zuwendung und Aufmerksamkeit. „Ich lebe im Hier und Jetzt, und ich muss das Heute schaffen“, sagt die Mutter.
Nicht anders geht es Kornelia aus Bayern. Seit 28 Jahren pflegt sie ihren an Multipler Sklerose erkrankten Ehemann Erich daheim, der früher mit Leidenschaft Polizist gewesen sei. Zeit zum Durchatmen hat Kornelia nur dann, wenn ihr Mann Kreuzworträtsel löst. „Ich habe einen Horror davor, dass die rechte Hand auch noch gelähmt wird, dann kann mein Mann Arme und Beine nicht mehr bewegen“, sagt die 62-Jährige. Vor der Kamera spricht sie auch über ihre psychische Belastung.
Die professionelle Seite der Pflege verkörpern in der Dokumentation Victoria (24) und Cholpon (22). Victoria ist aus Brasilien hierher gekommen, Cholpon aus Kirgistan. Beide haben ihre Heimatländer verlassen, um sich in Deutschland zur Pflegefachfrau ausbilden zu lassen. Während sie bei ersten Praxiseinsätzen begleitet werden, vermissen sie ihre Familien. Zugleich fragen sie sich, wo die erwachsenen Kinder der Menschen sind, die sie betreuen.
Zu Wort kommt auch Valentin, der als Krankenpfleger in einem Berliner Kinderhospiz arbeitet. Der 27-Jährige wünscht sich, dass die zu pflegenden Menschen mehr im Mittelpunkt stehen sollten. Zugleich engagiert er sich in der Öffentlichkeit für mehr Geld und Wertschätzung im Pflegebereich.
Filmemacherin Binninger verbindet eine Hoffnung mit dieser Filmarbeit, wie sie sagt. In einer demokratisch verfassten Gesellschaft entscheide letztlich jeder mit, wie es Pflegenden und Gepflegten ergehe. In der Politik aber drehe es sich am Ende immer um Geld und um die Frage, wie Pflege zu finanzieren ist. „Ich vermisse eine Debatte, die vorher ansetzt: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir sterben? Welche Werte sind uns wichtig?“, sagt Binninger.
Sie hoffe, dass ihr Film helfen werde, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, statt eine mögliche eigene Pflegebedürftigkeit oder die von nahestehenden Menschen zu verdrängen und auszublenden. Im Anschluss diskutieren Binninger, die Journalistin Cecile Schortmann und die Medizin-Ethikerin Alina Buyx das Thema im „3satThemaTalk“.