Zocken im Namen Gottes

Wenn Schüler den Religionsunterricht mit Computerspielen verbringen, erscheint das nur auf den ersten Blick merkwürdig. Denn das Zocken im Unterricht birgt ungeahntes Potenzial.

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Münster. Über Gott und die Bibel sprechen, das christliche Menschenbild ergründen oder über moralisches Handeln nachdenken – der Religionsunterricht soll Schülern viel beibringen. Eine Schwierigkeit dabei: Das Christentum und andere Religionen beinhalten schwer greifbare Konzepte. Lehrkräfte stehen vor der Aufgabe, auch jüngeren Schülern Gott, Jesus Christus oder Propheten näherzubringen, Ethik und Haltung zu erklären. Wie also einen erfolgversprechenden Zugang finden?
Thimo Zirpel ist Studienleiter und Religionslehrer an einer Gesamtschule in der Nähe von Münster. Er setzt neben etablierten Lehrmethoden auch auf Computerspiele – quasi Zocken in Gottes Namen. Das funktioniere, weil viele Kinder und Jugendliche einen Bezug zu Computerspielen haben, erklärt der Pädagoge. "Wenn Kinder sehen, dass sich ihr Lehrer dafür interessiert, was ihnen wichtig ist, dann interessieren sie sich auch ein Stück mehr dafür, was im Unterricht passiert", so Zirpel. Es gehe auch darum, die Leidenschaft der Kinder zu teilen und zu verstehen, warum sie spielen.
Jetzt hat Zirpel sein Konzept an der Universität Münster vor vorgestellt. Im Fokus der dortigen Fachgespräche stand die Frage, wie das Theologiestudium der Zukunft gestaltet werden könnte.

In der Rolle eines Gottes

Nach Zirpels Aussage eignen sich im Schulunterricht zum einen Spiele, die einen direkten religiösen Bezug aufweisen – zum Beispiel, wenn Propheten auftreten und handeln. Darüber hinaus gebe es auch Simulationen, in denen die Schüler selbst in die Rolle eines Gottes schlüpfen und ein Volk steuern, wie in "Black and White" oder "Godhood".
Aber auch zunächst unreligiös scheinende Rollenspiele können dem Experten zufolge genutzt werden. Dazu zähle etwa "Life Is Strange": Bei dem Abenteuerspiel (ab 12 Jahren) übernimmt der Spieler die Rolle der 18-jährigen Max: eine unauffällige Schülerin mit einer Leidenschaft fürs Fotografieren. Max – beziehungsweise der Spieler – muss im Laufe der Geschichte immer wieder Entscheidungen treffen, die Konsequenzen nach sich ziehen.
Die Szenarien des Spiels sind teilweise recht drastisch: So wird Max Zeugin, als eine Schülerin erschossen wird oder ein Mädchen vom Dach der Schule springt. Je nachdem, welche Entscheidung sie trifft, verändert sich die Spielsituation. Besonders interessant ist, dass Max die Gabe hat, die Zeit zurückzudrehen. So lassen sich getroffene Entscheidungen revidieren. Und so spart das Spiel auch nicht mit schwierigen Szenarien, denen sich der Spieler ausgesetzt sieht. Entscheidungen zu vermeiden oder umgehen, das funktioniert nicht – der Spieler muss die Folgen des eigenen Handelns in Kauf nehmen.

Große Motivation

Für Zirpel stellt "Life Is Strange" ein facettenreiches Spiel dar, das genutzt werden kann, um etwa mit niedrigeren Klassenstufen über Freundschaft und Mobbing zu sprechen oder mit älteren Schülern das Thema Sterbehilfe zu behandeln. Denn in einem Szenario bitte eine Freundin Max, ihr Leben zu beenden, weil sie vom Hals abwärts gelähmt ist. Wie Max auch entscheidet – beides hat Folgen, sagt Stefan Leisten. Er arbeitet am Münsteraner Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik und nutzt "Life Is Strange" in seinen Seminaren zum Thema ethisches Lernen.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt das Konsolenspiel "Flower". Der Spieler steuert dabei den Wind – von ruhiger, meditativer Musik begleitet – durch grüne Wiesen und bunte Blumenfelder und treibt Blütenblätter vor sich her. Wird eine Blume berührt, verursacht dies weitere sanfte Töne, die sich in die musikalische Begleitung einfügen. "’Flower‘ eignet sich im Religionsunterricht, wenn es um das Thema Beten und Spiritualität geht", meint Zirpel. Das Spiel könne Schülern mit seinem Spielfluss einen ersten Zugang zur Thematik bieten, da es zum Innehalten und Entspannen anrege.
 "Computerspiele können eine große Motivation mit sich bringen", resümiert der Pädagoge. Es brauche nicht immer Spiele, die religiöse Charaktere in den Vordergrund stellen – sondern auch solche, die Jugendliche animieren, ihr vorhandenes Wissen zu nutzen und umzusetzen. (KNA)