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Zwei Frauen bekämpfen die Einsamkeit

Maria Schindel ist 86 Jahre alt. Die Woche verbringt sie normalerweise einsam in ihrer Wohnung. Seit kurzem kommt aber Béatrice, 37, regelmäßig zu Besuch – und motiviert die Witwe zu neuen Unternehmungen.

Die meiste Zeit des Tages verbringt die 86-jährige Maria Schindel alleine zu Hause. Sie fühlt sich einsam. Doch jetzt möchte sie sich im Sportverein anmelden. Dafür hat Béatrice Frank gesorgt: Die 37-Jährige besucht Schindel seit Mitte März einmal die Woche. Gemeinsam wollen sie nun zum Aquagym gehen.

Früher hatte Schindel einen großen Freundeskreis; für jede Aktivität fand sie Begleitung. “Ich hatte jemanden fürs Theater, für die Oper, fürs Spazierengehen”, sagt sie. Rund 50 Jahre lebte sie so in Frankfurt. Aber: “Die sind einfach weggestorben.” Heute hat sie nur noch ihre Familie, die ein Stück entfernt wohnt, und seit kurzem Béatrice Frank.

In welchem Alter sich Menschen in der Gesellschaft am häufigsten einsam fühlen, folgt einer U-Kurve. Das zeigt eine Meta-Analyse von 2019 aus 75 Langzeitstudien aus über 20 Ländern. Jugendliche und junge Erwachsene sind besonders betroffen, dann kommen gesellige Jahrzehnte. Rund um den Renteneintrittsalter nimmt das Gefühl der Einsamkeit dann wieder stark zu, mit dem Höhepunkt um die 80 Jahre herum.

In dieser Situation ist Schindel. Innerhalb von zwei Jahren sind vier Freunde gestorben, “und plötzlich ist man wirklich alleine”, sagt sie. “Das habe ich mir so schlimm nicht vorgestellt, das Alleinesein.” Ein Seniorenheim als Ort für Gleichgesinnte ist für sie keine Option, dort spüre sie wenig Leben. Ihr Mann habe zum Schluss dort gewohnt. “Jeden Mittag um Punkt drei war ich da, weil ich wusste, er geht ein wie ein Kaktus.”

Schindel musste lernen, ohne den Menschen zu leben, der sie Jahrzehnte durchs Leben begleitete. Ihre Stimme bricht, als sie davon erzählt. Frank lenkt auf ein anderes Thema ab. Die beiden Frauen genießen die Zeit miteinander. Sie haben sich über den Verein “Freunde alter Menschen e.V.” kennengelernt. Frank fragte, wo sie unterstützen könne und wurde an Schindel weitergeleitet. Charakterlich ein super Match, da sind sich beide einig.

Frank liebt Schindels Humor. Außerdem höre sie nirgends so viele Lebensweisheiten wie bei Senioren. Die beiden vertiefen sich beim Treffen immer wieder in Gespräche zu zweit. Es geht um Hunde und Verletzungen, die sie und Bekannte ins Krankenhaus brachten. Man könnte meinen, zwei Freundinnen, die sich seit Jahren kennen, tauschen sich über das Leben aus. So sehr Schindel die junge Frau auch mag, sagt sie: “Ich finde die Béatrice toll, aber sie ersetzt keine Freundin.”

Denn die meiste Zeit bleibt sie doch alleine in ihrer Wohnung. Dann spielt sie Spiele auf dem Tablet und putzt ihre Wohnung. Tagsüber spüre sie die Einsamkeit am meisten, abends könne sie sich mit dem Fernsehprogramm ablenken. Frank kennt dieses Gefühl kaum – sie fühlte sich nach eigenen Worten nie wirklich einsam. Auch nicht, als sie nach Frankfurt zog. Dafür bieten die Strukturen für junge Menschen zu viele Orte, an denen man jemanden kennenlernen kann.

Wenn alleinstehende Senioren sich nicht bewusst Aktivitäten suchen, treffen sie hingegen nicht automatisch auf Gleichaltrige, sagt Schindel. Sie versuchte es mit verschiedenen Angeboten für ihre Altersgruppe, doch jeder Besuch endete mit Frustration. Sie will sich nicht zu Gesprächsrunden treffen, die darauf hinausliefen, dass viele nur ihr Leid über ihre Krankheiten klagten, und sie will nicht jedes Mal die gleichen Brettspiele spielen. “Ich war mein ganzes Leben lang neugierig und das bin ich immer noch.”

Maria Schindel möchte etwas erleben. Aber das können oder wollen viele Menschen in ihrem Alter nicht mehr, sagt sie. “Die, die wirklich einsam sind und nicht mehr können, die gehen nirgendwo hin.” Etwas erleben, da ist Frank dabei. Die beiden wollen nicht nur gemeinsam zum Aquagym gehen. Die 86-Jährige sei bei allem dabei, was sie ihr vorschlage, sagt Frank. Deshalb mischen sie sich demnächst auch in Franks liebstem Frankfurter Jazzclub unter die Menschen.