Zur richtigen Zeit

Über hilfreiches Schweigen schreibt Pastor Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich mit den Müden wisse zu rechter Zeit zu reden.“ aus Jesaja 50, 1-9
Schweigend stehe ich ihr gegenüber. Was soll ich auch sagen? „Mein herzliches Beileid“ klingt so abgegriffen. Vor wenigen Tagen hatten wir noch zusammengesessen und gemeinsam gelacht. Dann kam heute Morgen die Nachricht: Man hatte ihren Sohn gefunden, im völlig zerstörten Auto. Da sei nichts mehr zu machen gewesen, der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen.
Das Schweigen zwischen uns wächst. Ich ringe nach Worten, die es durchbrechen könnten. Dann ist sie es, die es durchbricht: „Danke für diese Augenblicke der gemeinsamen Stille.“
Wie oft bin ich sprachlos angesichts der großen und kleinen Leiden, die mir begegnen. Doch nicht immer reicht da ein gemeinsames Schweigen. Ich sehe in Augen, die von mir ein hilfreiches Wort erwarten; Worte, die weiterführen, heraus aus dem Elend, der Verzagtheit, der Ausweglosigkeit. Denn wirklich Hilfreiches können wir uns nicht selbst sagen, das muss eine andere, ein anderer für uns tun. Die rechten Worte zur rechten Zeit zu finden ist nichts, was man so einfach lernen kann. Es erfordert auch ein Gespür dafür, was das Gegenüber braucht.
Der Schreiber des sogenannten „Gottesknechtsliedes“ im Buch des Propheten Jesaja hat Ähnliches erfahren: Was soll er den Menschen sagen, die ohne Hoffnung in der Verbannung leben, weit weg von der Heimat, die in Trümmern liegt? Sehnsüchtig hängen sie an den Lippen des Propheten. Was soll er sagen angesichts einer Zukunft ohne Hoffnung? Und Gott, Gott ist so weit weg. Hat er die Menschen im Leid vergessen? Ist er nur auf der Seite der Glücklichen, der Erfolgreichen, der Starken?
Der Prophet wagt es. Er wagt zu reden von einer Zukunft, von einem Gott, der bei denen ist, die leiden. Selbst wenn sie selbst ihr Leiden verschuldet haben, lässt dieser Gott keinen fallen. 
Der Prophet ist sicher: Gott selbst gibt ihm die Vollmacht, Worte der Hoffnung zu sagen. Und ich bin sicher: Auch wir haben diese Vollmacht. Nur müssen wir es wagen, diese Worte auch auszusprechen.
Unser Autor
Pastor Tilman Baier
ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.