Warum Gesellschaftsspiele nie aus der Mode kommen

Auch die Digitalisierung macht dem Boom kein Ende: Gesellschaftsspiele bleiben gefragt, wie die Messe „Spiel“ in Essen zeigt. Woher kommt die Liebe zum Zocken?

"Mensch, ärgere dich nicht" ist auch nach vielen Jahrzehnten beliebt
"Mensch, ärgere dich nicht" ist auch nach vielen Jahrzehnten beliebtImago / Westend 61

Beim Spiel könne man einen Menschen kennenlernen, soll schon der griechische Philosoph Platon gesagt haben – und zwar in einer Stunde besser als im Gespräch in einem Jahr. Neigt jemand zu kleinen Tricksereien? Denkt er strategisch? Kann sie verlieren? Je nach Spiel kommen unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten schnell zum Tragen. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass Gesellschaftsspiele beliebt bleiben; in der Corona-Pandemie haben manche sie als Alternative zu ständigen Videocalls und langer Bildschirmzeit wiederentdeckt.

Spielen sei ein „Urphänomen“, sagte der Spielforscher Jens Junge kürzlich dem Magazin „Neue Stadt“. Auch Hunde und Katzen spielten, und bis in die Mikrobiologie hinein ließen sich spielerische Elemente von Vielfalt und Veränderung entdecken. Tiere spielten nur dann, wenn sie „satt und sicher“ seien – und auch Menschen nutzten das Spiel als Kontrast zur Wirklichkeit, als eine „Erfahrungswelt, die uns Erlebnisse und Emotionen ermöglicht, die über das hinausgehen, was uns normalerweise bewegt“.

Gesellschaftsspiele: Menschen suchen Herausforderungen

Ähnlich sieht es Rätselmacher Stefan Heine. „Die Menschen wollen sich betätigen, sie wollen Herausforderungen, und sie wollen Spiel“, betont er. Es gehe um die völlige Konzentration auf eine Tätigkeit, „so dass wir alles um uns herum vergessen“.

Was Menschen in den Bann zieht, kann freilich mitunter gefährlich werden. Manche Debatte, die es heute um Computerspiele gibt, erinnert an die ersten Zeiten, in denen Rätsel zunehmend in Tageszeitungen veröffentlicht wurden: Sie könnten einen psychisch aus der Bahn werfen, ablenken, seien primitiv. „Das ist offenbar normal bei neuen Entwicklungen“, sagt Heine – wobei klassische Denkspiele heute längst als gesundheitsförderlich betrachtet werden.

Bei "Monopoly" kann man auch mal im Gefängnis landen
Bei "Monopoly" kann man auch mal im Gefängnis landenImago / Schöning

Weltweit steigt die Zahl der Gamerinnen und Gamer; etwa drei Millionen Menschen nutzen laut Statistiken regelmäßig Videospiele. In einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom erklärte kürzlich eine Mehrheit, Video- und Computerspiele seien für sie gesellschaftliche Kulturgüter wie Bücher, Filme oder Musik.

Experte Junge sieht durchaus Unterschiede zwischen Brettspielen und Videogames. Bei Brettspielen gehe es stärker um das Mitmenschliche: „Da möchte ich den Angstschweiß des Gegenübers auf der Stirn sehen, wenn ich ihm das Leben schwermache.“ Digitale Welten fesselten eher durch erzählerische Elemente wie Geräusche oder filmische Szenerien.

Spiele erleichtern das Lernen

Ebenso verfolgten die Fans eher klassischer Spiele ganz verschiedene Ziele: Wer sich immer wieder zum Skat oder zum Schach verabrede, dem biete das Spiel auch einen „Anlass, um Geselligkeit zu organisieren“. Die Besucherinnen und Besucher der „Spiel„-Messe freuen sich dagegen darauf, Neuheiten zu testen und mit Gleichgesinnten in Austausch zu kommen. „Andere gehen gerne ins Theater, wo auf der Bühne auch gespielt wird“, sagt Junge. Tanz sei ein Bewegungsspiel, ein Roman ein Gedankenspiel – und stets sei mit diesem spielerischen Element ein Wunsch nach Leichtigkeit und neuen Ideen verbunden.

Nicht zuletzt erleichtern Spiele das Lernen – oder ermöglichen es überhaupt erst. Kinder eignen sich Motorik und Bewegung, aber auch die Sprache übers Ausprobieren und Nachahmen an. „Tatsächlich können Babys diese Welt nur spielend begreifen“, erklärt Junge. Später kämen Verkleidungen hinzu oder Rollenspiele als Polizist, Ärztin oder Lehrerin. Auch entstehe durchs Spiel der Wunsch, die Welt zu verändern, zum Beispiel etwas zu bauen: „Das macht jedes Kind, um sich diese Welt begreifbar zu machen und in ihr klarzukommen.“

Diese Mechanismen nutzen Lernprogramme für Erwachsene genauso – ob Musikinstrument, Fremdsprache oder die App, die zum regelmäßigen Trinken animieren will. Erwachsenen tue es zudem gut, wieder einmal daran erinnert zu werden, dass das Leben nicht nur aus festen Gesetzen bestehe, betont der Experte. Schließlich ermögliche das Spiel, kreativ zu werden und bisherige Regeln auf den Kopf zu stellen. Junges Rat für alle, die Sorgen zum Grübeln bringen oder die große Probleme zu bewältigen haben, lautet daher: „Mehr spielen“.