Wolfgang Hülsemann – Jugendpfarrer der DDR wird 80

Er setzte sich ein. Vor allem für junge Menschen in der DDR, die aufbegehrten. Am 12. April feierte Wolfram Hülsemann seinen 80. Geburtstag

Wolfgang Hülsemann
Wolfgang HülsemannPrivatfoto

Die Pressezensur der SED war unerträglich geworden. Und so erschien die Osternummer der Wochenzeitung „Die Kirche“ 1988 mit weißen Flecken. Allein fünf Ausgaben durften in diesem Jahr nicht gedruckt werden. Am 16. Oktober demonstrierten 200 Menschen für Pressefreiheit, unter ihnen der Berliner Stadtjugendpfarrer Wolfram Hülsemann. Als Anwalt der jungen ­Menschen, die gegen die Unter­drückung durch den SED-Staat aufbegehrten, hatte er sich einen ­Namen gemacht. Mit seinem ­Engagement wurde er zu einem der Wegbereiter der Friedlichen Revolution. Der streitbare Theologe ist am 12. April 80 Jahre alt geworden.

Der gebürtige Thüringer, hochaufgewachsen und den Kopf immer dem Gesprächspartner zugeneigt, hat zu unserem Treffen am Bahnhof Friedrichstraße zahlreiche Blätter mitgebracht, Dokumente aus seinem Leben. Unter uns rauscht die U-Bahn, die Stadt ist frei. Wir sprechen über die Jahre vor dem Mauerfall, den keiner für möglich gehalten hatte. Eine Zeit, in der es nicht zuletzt junge ­Menschen in der DDR etwas kostete, eine eigene Meinung zu haben. Da war er an ihrer Seite: als Zuhörer, Mahner und Fürsprecher – nicht nur beim Überfall auf die ­Umweltbibliothek 1987 oder bei den Protesten gegen den Wahl­betrug.

Hülsemann platzte die Hutschnur

„Er hat sich immer für Dinge ­engagiert, von denen er überzeugt war, dass sie richtig und wichtig sind, ohne den Verdacht, sich in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt Martin-Michael Passauer, sein Vorgänger im Jugendpfarramt. Der spätere Referent von Bischof Gottfried Forck erinnert an Hülsemanns Verdienste, sich für den Erhalt der Bluesmessen und Friedenswerkstätten eingesetzt zu haben.

So legte er sich auch mit dem Chefredakteur der Jungen Welt, Hans-Dieter Schütt, an. Der hatte die Teilnehmer der Mahnwachen für die Umweltbibliothek mit rechten Skinheads gleichgesetzt. Hülsemann platzte die Hutschnur. Das sei pogromartige Stimmungsmache, Demagogie hatte er nicht nur an Schütt, sondern auch den Zentralrat der FDJ geschrieben.

Das Gespräch und die Vermittlung stehen bis heute im Mittelpunkt dessen, was ihn bewegt. Und das ist eine ganze Menge. Um­getrieben hat ihn immer die so ­verletzliche Demokratie, für deren Wehrhaftigkeit er aus protestantischer Überzeugung stritt.

Gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche

Nach der Friedlichen Revolution saß er als Moderator am Runden Tisch im Berliner Rathaus. Später – nach seiner Zeit als Superintendent in Königs-Wusterhausen – gründete er mit anderen das Institut für ­Gemeinwesenberatung „Demos“, den Träger des von ihm geleiteten Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Dass deren Wurzeln in unserer deutschen ­Vergangenheit liegen, wurde er nicht müde zu betonen.

Und so stritt er auch gegen den Wiederaufbau der Potsdamer ­Garnisonkirche, die er mit ihrer ­Geschichte in der NS-Zeit nicht für ­einen geeigneten Ort der ­Ver­söhnung hielt. Außerdem moderierte er die Auseinandersetzungen um den „Hauptstadtflughafen“ als ­Vorsitzender des „Dialogforums Airport Berlin-Brandenburg“.

Mit dem Ohr zur Straße

Von 1975 bis zu seinem Wechsel nach Berlin 1984 war er beliebter Gemeindepfarrer im thüringischen Schmalkalden. Auch damals schon ging es ihm auch um jene Jugend­lichen, die mit den Jungen Gemeinden nicht mehr erreichbar waren. Wie können sie erfahren, dass sie von Grund auf angenommen sind? Wo sind sie erreichbar? Die Antwort: Dort, wo sie sind. Auch auf der ­Straße!

An seinem jetzigen Wohnort Berlin-Marzahn organisiert Hülsemann in diesen Tagen mit seiner Frau Karola ein Straßenfest mit den vietnamesischen Nachbarn im Kiez. Musik soll es geben, gutes Essen, Gemeinsamkeit. „Nimm Dein Leben in die Hand, weil du in einer guten Hand lebst.“ Diese Überzeugung hat ihn zeitlebens begleitet. Und sie ist wohl auch der tiefe Grund für seinen ­unerschöpflichen Tatendrang.