Eine ZDF-Doku blickt amüsant und aufschlussreich auf die noch nicht ganz hundertjährige Karriere des “Miss Germany”-Titels zurück.
Im März 1927 wurde die Ostpreußin Hildegard Kwandt im Berliner Sportpalast von einer Jury, der unter anderem der immer noch bekannte Boxer Max Schmeling angehörte, zur ersten “Miss Germany” gewählt. Das ist fast 100 Jahre her – und fürs ZDF Anlass, der Geschichte des Wettbewerbs, der seit jeher polarisiert, eine “Terra X History”-Folge mit dem Titel “Miss Germany – wer ist die Schönste im Land?” zu widmen.
Ungeheuer tief schürft der 45-Minüter nicht; für die 1920er Jahre setzt er vor allem auf zeittypisches Bildmaterial. Doch für folgende Jahrzehnte greift der flott montierte Film von Autorin Nicola Graef geschickt in die tiefen Archive. Schließlich wurden “Miss”-Wahlen schon immer von “Presserummel” und jeweils gängigen Kameras begleitet.
Daisy D’ora Schlitter, die unter ihrem Künstlerinnenamen den Titel 1931 errang und deren damaliges schwarz-weißes Lächeln auf Instagram auch heute funktionieren würde, ist etwa mit Fernsehaussagen zu sehen, die sie in hohem Alter im Jahr 2000 machte. Als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, verboten sie den Wettbewerb als “jüdisch-bolschewistische Unkultur”. Doch soll Heinrich Himmler persönlich die Miss von 1931 zum Parteitag nach Nürnberg eingeladen haben. Hätte sie die Einladung ausschlagen können, wie der Offkommentar suggeriert, oder exkulpierte sie sich mit sehr kritischen Aussagen zum dort beobachteten Hitler-Kult anno 2000 nachträglich?
Das bleibt sympathischerweise offen. Die ZDF-Doku springt ins Jahr 1950, in dem in Baden-Baden die erste Nachkriegs-“Miss Germany” gekürt wurde. Susanne Erichsen machte dann sowohl internationale Sympathiewerbung für die Bundesrepublik (vielleicht weil sie entgegen des Klischees kurzes, dunkles Haar trug) als auch geschäftliche Karriere. Sie gründete ein Unternehmen namens “Schule für Schönheit”, das Models (oder “Modelle”, wie man seinerzeit sagte) ausbildete und drei weitere deutsche Misses hervorbrachte. Noch Jahrzehnte später trat Erichsen in Rudi Carells Fernsehshow auf.
Inzwischen war der Wettbewerb in unterschiedliche Kritikwellen geraten, wovon etwa Ausschnitte aus der Dokumentation “Die Misswahl” von 1966 zeugen. Mokierte sich Filmautor Roman Brodmann (dessen Name die ZDF-Doku nicht nennt) da über die vermeintlich geringe Bildung der Kandidatinnen? Völlig andere Kritik übten Demonstrantinnen, die mit “Cattle Auction”-Plakaten 1968 gegen die Miss Universe-Wahl in den USA protestierten. Dabei liefen doch später “auf der Straße die jungen Mädchen mehr sexy rum” als sie damals, sagte die damalige deutsche Teilnehmerin Lilian Böhringer wiederum um die Jahrtausendwende.
Der deutsche Miss-Wettbewerb besteht bis heute, weil Horst Klemmer, der 1960 als Ansager einer “Miss Wangerooge”-Wahl entdeckt wurde und bald ins Management einstieg, in den 1970ern Diskotheken als geeignetes neues Biotop entdeckte. Klemmer – dessen Namen vielleicht nicht zufällig an eine Hape-Kerkeling-Kunstfigur erinnert – und seine Familie managen die inzwischen regelmäßig im Europa Park Rust stattfindende Veranstaltung seit Jahrzehnten.
Einigen Raum nimmt in der Doku dann die einzige “Miss DDR”-Wahl 1990 ein, deren Vorbereitung unter anderem darunter gelitten habe, wie schwer sich seinerzeit Fotos machen ließen. Die gesamtdeutsche Miss Germany 1992, die mal wieder untypisch kurzhaarige und nicht-blonde Ostberlinerin Ines Kuba, wurde dann Klemmers Schwiegertochter. Nun modelt ihr Sohn Max Klemmer die Miss-Wahl zu einem “Karrierenetzwerk für Frauen”, also für “Gründerinnen, Influencerinnen, Leitfiguren” um.
Sicherlich bleiben allerhand Fragen offen. Etwa wenn Apameh Schönauer, Miss Germany 2024 mit iranischen Wurzeln, schildert, welche Reaktionen und Hasskommentare sie auf ihre Wahl bekam. Oder wenn Leticia Koffke, die einzige je gewählte “Miss DDR”, bekundet, dass sie feministische “Fleischbeschau”-Kritik damals nicht brauchte, weil junge Frauen in der DDR anders sozialisiert worden seien als im Westen. Oder wenn “Missy Magazine”-Chefredakteurin Marie Serah Ebcinoglu analysiert, dass es bei Miss-Wahlen doch immer darum gehe, “über die Objektifizierung von weiblichen Körpern Einnahmen zu generieren”.
Am Ende bekundet Horst Klemmer, dass dieses “Social Media”, auf das sein Enkel setzt, für ihn “böhmische Dörfer” seien. Und so bringt der 45-Minüter auf engem Raum ein bemerkenswert großes Spektrum von Perspektiven unverkrampft zusammen. Das ist nicht nur unterhaltsam anzusehen, sondern birgt auch viel Mehrwert.